Rz. 99
Verhinderung einer Entstrickung und Sicherung des Besteuerungsrechts. § 50 i Abs. 1 Satz 1 beinhaltet zwei Rechtsfolgen: zum einen die Verhinderung einer Entstrickung (implizite Rechtsfolge) und zum anderen die Besteuerung eines Veräußerungs- bzw. Entnahmegewinns (explizite Rechtsfolge). Als implizite Rechtsfolge kann die Verhinderung einer Entstrickung i.S. der allgemeinen Entstrickungsnormen (§§ 4 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 KStG) bezeichnet werden, weil diese Wirkung nicht aus dem Gesetzeswortlaut, sondern aus dem Lex Specialis-Verhältnis des § 50 i zu den allgemeinen Entstrickungsnormen folgt (Anm. 49, dort auch zur abweichenden Literaturauffassung). Denn § 50 i Abs. 1 Satz 1 schließt auch mit Rückwirkung aus, dass das Besteuerungsrecht Deutschlands ausgeschlossen oder beschränkt wird, in dem ungeachtet entgegenstehender Bestimmungen eines DBA die Besteuerung eines Veräußerungs- oder Entnahmegewinns sichergestellt wird. Diese implizite Rechtsfolge tritt ein, wenn sämtliche persönlichen und sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen mit Ausnahme des Veräußerungs- bzw. Entnahmetatbestands erfüllt sind. Da § 50 i Abs. 1 sperrt die Anwendung der allgemeinen Entstrickungsnormen bis zum 31.12.2016 (24:00 Uhr), in bestimmten Konstellationen auch über den 31.12.2016 hinaus (Anm. 90.3 f.).
Rz. 100
Veräußerungs- bzw. Entnahmegewinnbesteuerung. Darüber hinaus ordnet § 50 i Abs. 1 Satz 1 im Falle der Veräußerung oder Entnahme explizit an, dass ein Veräußerungs- bzw. Entnahmegewinn im Inland einkommen- bzw. körperschaftsteuerpflichtig ist (zur Gewerbesteuer vgl. Anm. 52). Auslösendes Tatbestandsmerkmal der expliziten Rechtsfolge ist damit die Veräußerung oder Entnahme der nämlichen Wirtschaftsgüter und Anteile i.S. des § 17 EStG, die vor dem 29.6.2013 steuerneutral in das Betriebsvermögen der Personengesellschaft i.S. des § 50 i Abs. 1 transferiert worden sind. Voraussetzung hierfür ist, dass der Gewinn auf einen im DBA-Ausland ansässigen, regelmäßig beschränkt Stpfl. entfällt, der aufgrund seiner Beteiligung an der Mitunternehmerschaft inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (i.V.m. § 15 EStG bzw. § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG) erzielt (Anm. 59). Insoweit der Gewinn auf Kapitalgesellschaftsanteile entfällt, sind §§ 3 Nr. 40, 3 c Abs. 2 EStG (bzw. § 8 b KStG) anzuwenden. Die Veräußerungs- und Entnahmegewinnbesteuerung erfolgt ungeachtet entgegenstehender Bestimmungen eines DBA (insb. Art. 13 Abs. 5 OECD-MA); zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Treaty Override s. Anm. 14). Nach der Veräußerung oder Entnahme des betreffenden Wirtschaftsguts ist § 50 i hierauf nicht mehr anwendbar (wirtschaftsgutbezogene Anwendung); die Finanzverwaltung wendet § 50 i Abs. 1 auch auf die Übertragung des Mitunternehmeranteils an der Personengesellschaft i.S. des § 50 i Abs. 1 an (Anm. 92), weshalb in den Fällen, in denen weniger als 100 % der Mitunternehmeranteile übertragen werden, die § 50i-Verhaftung der jeweiligen Wirtschaftsgüter wohl nur anteilig in Höhe der Quote der übertragenen Mitunternehmeranteile beendet werden sollte.
Rz. 101
Gewinn- bzw. Verlustermittlung. § 50 i Abs. 1 Satz 1 will nur einen Gewinn aus der Veräußerung oder Entnahme der Besteuerung im Inland unterwerfen. Entnahme- und Veräußerungsverluste werden vom Wortlaut der Norm nicht erfasst, sollten aber dennoch mit anderen inländischen Einkünften des beschränkt Stpfl. grundsätzlich verrechenbar sein. Der Gewinn bzw. Verlust ermittelt sich nach allgemeinen Gewinnermittlungsregeln (§§ 4 ff. EStG). Wenn eine veräußerungsgleiche Übertragung der Wirtschaftsgüter zu Buchwerten möglich ist (z.B. Einbringung in eine Kapitalgesellschaft nach § 20 UmwStG), beträgt der "Veräußerungsgewinn" null, sodass aus § 50 i Abs. 1 Satz 1 keine materiellen Belastungsfolgen resultieren (s. aber § 50 i Abs. 2, Anm. 140 ff.).
Rz. 102
Umfassende Besteuerung der stillen Reserven. Es werden über § 50 i Abs. 1 Satz 1 nicht nur die bereits im Zeitpunkt der Übertragung oder Überführung vorhandenen stillen Reserven besteuert, sondern der gesamte Veräußerungsgewinn. Die Besteuerung erfolgt daher so, als hätte Deutschland bis zum Zeitpunkt der Veräußerung oder Entnahme das uneingeschränkte Besteuerungsrecht an den Wirtschaftsgütern und Anteilen gehabt. Im Ergebnis werden daher auch die erst nach dem Wegzug entstandenen stillen Reserven in Deutschland besteuert. Dadurch kann sich eine Doppelbesteuerung ergeben, wenn der Ansässigkeitsstaat sein nach DBA bestehendes Besteuerungsrecht geltend macht (zur Doppelbesteuerungsproblematik s. Anm. 47 f.). Darüber hinaus ist die umfassende Besteuerung der stillen Reserven verfassungsrechtlich (Anm. 16 ff.) und europarechtlich (Anm. 43 f.) bedenklich, weshalb insgesamt für eine teleologische Reduktion der Rechtsfolge auf die in der deutschen Steuerhoheit gebildeten stillen Reserven zu plädieren ist.