Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 1121
Anwendung der Regelungen zur Funktionsverlagerung auf VZ vor 2008. Die im Rahmen des UntStRefG 2008 v. 14.8.2007 erstmals eingeführten Regelungen zur Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen in § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 a.F. waren nach dem Gesetzesbefehl in § 21 Abs. 15 i.d.F. des UntStRefG ab dem VZ 2008 anzuwenden. Nach Auffassung der Finanzverwaltung, die ihren Niederschlag in Rz. 180 ff. VWG-Funktionsverlagerung (zu berücksichtigen für Funktionsverlagerung bis 31.12.2021) gefunden hat, sind weite Teile der Regelungen zur Besteuerung von Funktionsverlagerungen aber bereits für Sachverhalte vor dem VZ 2008 anwendbar. Die Finanzverwaltung begründet ihre Auffassung damit, dass die Regelungen nach Maßgabe der Gesetzesbegründung vor allem klarstellende und präzisierende Wirkung hätten, da sie Ausfluss des seit jeher geltenden Fremdvergleichsgrundsatzes seien und lediglich eine ausdrückliche Regelung dieses Grundsatzes darstellten. Für grenzüberschreitende Funktionsverlagerungen vor dem VZ 2008 sollen nach Auffassung der Finanzverwaltung danach die Rechtsfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 a.F., die ertragswertorientierte Gesamtbewertung eines Transferpakets i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 a.F. und der Mittelwertansatz beim hypothetischen Fremdvergleich i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 7 a.F. entsprechend anzuwenden sein. Lediglich der Grundsatz der Informationstransparenz i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 a.F. soll nach Verwaltungsauffassung für Sachverhalte vor dem VZ 2008 keine Anwendung finden. Die Auffassung der Finanzverwaltung kann nicht überzeugen. Die Regelungen zur Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen folgen Grundsätzen, die es vor dem VZ 2008 so nicht gab. Es handelt sich für die Zeit ab dem VZ 2008 um echte Neuregelungen und nicht lediglich um Klarstellungen oder Präzisierungen. Insbesondere der Verweis der Finanzverwaltung auf den Fremdvergleichsgrundsatz geht ins Leere. Zwar war der Fremdvergleichsgrundsatz bereits vor dem VZ 2008 geltendes Recht in Deutschland. Die neuen Besteuerungsgrundsätze stimmen aber in wesentlichen Teilen mit dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht überein, sondern setzen sich vielmehr in expliziten Widerspruch zu diesem. Eine rückwirkende Anwendung der Neuregelungen kommt daher nicht in Betracht.
Rz. 1122
Keine rückwirkende Anwendung des Grundsatzes der Gesamtbewertung. Dies gilt zunächst für die ertragswertorientierte Gesamtbewertung eines Transferpakets. Nach der sich aus Rz. 184 der VWG-Funktionsverlagerung ergebenden Auffassung der Finanzverwaltung ist es für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes in Fällen einer Funktionsverlagerung erforderlich, den wirtschaftlichen Gehalt des Vorgangs festzustellen. Ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter würden für Zwecke der Preisbestimmung eine Funktionsverlagerung regelmäßig als wirtschaftlich einheitlichen Vorgang beurteilen und das Entgelt sowohl für die Verlagerung insgesamt als auch für die einzelnen Wirtschaftsgüter und Vorteile auf der Grundlage der betreffenden Gewinnpotentiale bemessen. Insofern sei es sachgerecht, die steuerliche Behandlung von Funktionsverlagerungen auf einer ertragswertorientierten Gesamtbewertung aufzubauen. Dies gelte auch für VZ vor 2008. Die Auffassung der Finanzverwaltung kann nicht überzeugen. Hinzuweisen ist zunächst darauf, dass der Begriff des Transferpakets vor dem VZ 2008 sowohl im Inland als auch im Ausland völlig unbekannt war. § 2 Abs. 3 Satz 3 GAufzV sah zwar bereits bisher eine Zusammenfassung mehrerer Geschäftsvorfälle vor, wenn diese ursächlich verbunden waren oder wenn es sich um Teilleistungen im Rahmen eines Gesamtgeschäfts handelte und es für die Prüfung der Angemessenheit weniger auf den einzelnen Geschäftsvorfall, sondern mehr auf die Beurteilung des Gesamtgeschäfts ankam. Diese Möglichkeit bezog sich jedoch nur auf die Aufzeichnungspflichten im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen und ändert nichts an der Einzelbewertung der betroffenen Wirtschaftsgüter. Auch die in den Jahren vor dem VZ 2008 gültigen OECD-Leitlinien 1995 erlaubten zwar die Bildung von Leistungspaketen, wenn einzelne Transaktionen so eng miteinander verbunden waren, dass eine getrennte Bewertung zu keinem angemessenen Verrechnungspreis führte. Als Beispiel hierfür nannten die OECD-Leitlinien 1995 insbesondere eng miteinander verbundene Produkte, bei denen es nicht praktikabel sei, für jede einzelne Transaktion einen Verrechnungspreis zu ermitteln. Eine Erfassung von Gewinnpotentialen im Rahmen einer Gesamtbewertung war aber auch in diesem Zusammenhang nicht vorgesehen. Vielmehr kam eine Gesamtbewertung vor dem VZ 2008 nur dann in Betracht, wenn ein Betrieb oder Teilbetrieb übertragen wurde. Hierbei konnten geschäftswertbildende Faktoren übergehen, sodass insofern ein Geschäfts- oder Firmenwert ermittelt werden musste. Auf grenzübers...