Dr. Nils Häck, Dr. Julian Böhmer
Rz. 461
Abgrenzung zu § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2. Die grenzüberschreitende Unternehmensnachfolge in Anteile i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG durch deren unentgeltliche Übertragung von einem unbeschränkt Steuerpflichtigen auf einen nicht i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Empfänger führt – ungeachtet eines Ausschlusses oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich der Veräußerungsgewinne – zur Verwirklichung des Tatbestands i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 (s. ausf. Rz. 365 ff.). Erfolgt die unentgeltliche Übertragung der Anteile hingegen auf einen (auch) in Deutschland i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt Steuerpflichtigen, scheidet eine Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 nach dessen eindeutigen Wortlaut aus. Vielmehr wird eine Wegzugsbesteuerung nur unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ausgelöst, wenn aufgrund der unentgeltlichen Übertragung der Anteile das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinne aus der Veräußerung der Anteile ausgeschlossen oder beschränkt wird. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 erfasst letztlich unentgeltliche Übertragungen auf einen sog. doppelansässigen Erwerber, die zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich der Veräußerungsgewinne führen. Anders als nach bisherigem Recht besteht insoweit auch keine ungewollte Gesetzeslücke mehr. Die im Rahmen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 sich ergebenden Anwendungsschwierigkeiten bei "gestuften" Erwerben (s. Rz. 409 ff.), sind auch im Rahmen von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 relevant.
Rz. 462
Unterschiedliche Behandlung i.R.d. § 6. Obwohl sich die Fallkonstellationen der unentgeltlichen Übertragung der Anteile in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 in der Regel nur darin unterscheiden, dass der Erwerber (nicht) in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG ist, ist die weitere Behandlung im Rahmen des § 6 nicht konsistent. Jenseits des – zumindest nach dem Wortlaut – unterschiedlichen Gewinnrealisierungszeitpunkts (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bzw. Nr. 3) ergeben sich v.a. bei der Rückkehrregelung erhebliche Unterschiede (s. Rz. 463). Auch § 6 Abs. 5 "passt" auf die hier angesprochenen Konstellationen nur bedingt (s. Rz. 464).
Rz. 463
Anwendung der Rückkehrregelung (§ 6 Abs. 3 Satz 4). Während bei Tatbestandsverwirklichung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Empfänger der Anteile durch rechtzeitige Rückkehr die Wegzugsteuer unter den weiteren Voraussetzungen i.S.d. § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 3 entfallen lassen kann, ergeben sich bei Tatbestandsverwirklichung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Schwierigkeiten. Nicht nur, dass bei einer nur zu einer "Beschränkung" i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 führende unentgeltlichen Übertragung die Rückkehrregelung "gesperrt" ist, da nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 Satz 4 die unentgeltliche Übertragung mit einem "Ausschluss" des Besteuerungsrechts einhergehen muss (s. Rz. 494). § 6 Abs. 3 Satz 4 verlangt zudem, dass der Ausschluss des Besteuerungsrechts auf einer "vorübergehenden Abwesenheit des Steuerpflichtigen" beruht. In den hier angesprochenen Sachverhalten beruht der Ausschluss des Besteuerungsrechts aber auf der unentgeltlichen (grenzüberschreitenden) Übertragung der Anteile auf einen doppelansässigen Erwerber, der regelmäßig auch nicht der "Steuerpflichtige" der Wegzugsteuer ist (s. Rz. 374 f.). Der Gesetzgeber hätte § 6 Abs. 3 Satz 5 auf sämtliche, eine Wegzugsteuer auslösende "unentgeltliche Übertragungen" erstrecken sollen, wie er es auch z.B. in § 6 Abs. 1 Satz 3 getan hat.
Beispiel 156
O schenkt Ende 2023 seine Anteile an der operativ tätigen F-SARL seinem in Paris lebenden Neffen N, der aufgrund eines Nebenwohnsitzes in Köln auch in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist. N gibt Ende 2026 seine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht in Frankreich auf und zieht nach Deutschland zurück.
Lösung
Die Schenkung erfüllt § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG, da das deutsche Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der Anteile ausgeschlossen wird (Art. 7 Abs. 5 DBA-Frankreich). Der Wortlaut des § 6 Abs. 3 Satz 4 AStG verlangt eine "vorübergehende Abwesenheit des Steuerpflichtigen". Steuerpflichtiger für die "Wegzugsteuer" ist aber der Schenker (Rz. 369). Zudem "beruht" der Ausschluss des Besteuerungsrechts auf einer unentgeltlichen Übertragung der Anteile. Die Rückkehr von N würde daher nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 Satz 4 nicht zu einem Entfallen der Wegzugsteuer führen. Das wäre ein nicht hinnehmbares Ergebnis, welches durch teleologisch erweiternde Auslegung gelöst werden sollte. Andernfalls würde der Fall, in dem der Beschenkte engere Bande zu Deutschland hält, schlechter gestellt. Denn wäre N in Deutschland nicht unbeschränkt steuerpflichtig gewesen, wäre § 6 Abs. 3 Satz 5 AStG anzuwenden.
Rz. 464
Jährliche Mitteilungspflichten (§ 6 Abs. 5 Satz 3). Bei Gewährung einer Ratenzahlung...