Rz. 16
Die Entscheidung über das Ob und Wie einer Abweichungsgesetzgebung bei der Grundsteuer obliegt dem Landesgesetzgeber. Ohne eigenen Gesetzgebungsakt besteht Vollidentität mit dem Bundesrecht. Die Länder, die derzeit (s. Rz. 18) bei der Grundsteuer abweichungslos dem Bundesgesetz folgen ("Bundes-Folgeländer") sind:
- Berlin
- Brandenburg
- Bremen
- Mecklenburg-Vorpommern
- Nordrhein-Westfalen
- Rheinland-Pfalz
- Sachsen-Anhalt
- Schleswig-Holstein
- Thüringen.
In diesen Ländern wurde zunächst innerhalb der Finanzverwaltung, später in Landesregierung und Landtag über Abweichungen diskutiert, aber letztlich hat die politische Mehrheit von einer Abweichungsgesetzgebung abgesehen. Z.T. haben diese Länder in Pressemitteilungen oder auf der Internetseite der Landesfinanzverwaltung über ihre Entscheidung zur Nichtabweichung von der bundesgesetzlichen Regelung berichtet. Die Entscheidung, dem Bund zu folgen, ist primär eine politische Entscheidung des jeweiligen Landesparlaments. Politisch mag die nicht abweichende Landespolitik darauf hoffen, die Verantwortung für die Reform der Grundsteuer auch den allfälligen, am Altrecht gemessenen Reformverlierern gegenüber als Entscheidung des Bundes "verkaufen" zu können. Dabei sind Belastungsverschiebungen der Reform immanent und zwingend Folge des Spruches des BVerfG vom 10.4.2018. So könnten Umverteilungen und vor allem Grundsteuererhöhungen als Folge des neuen Bundesgesetzes dem Bund politisch angekreidet werden. Ob dieses politische Kalkül eines Landesgesetzgebers aufgeht, bleibt abzuwarten. Verfassungsrechtlich bleibt die Übernahme des Bundesmodells durch eigene Untätigkeit ohnehin eine politische Entscheidung des nichtabweichenden Landesgesetzgebers, weil dieser von der ihm verfassungsrechtlich eingeräumten Abweichungsmöglichkeit und eigenständigen Gestaltungsmacht gerade keinen Gebrauch macht. Dies gilt auch hinsichtlich der Übernahme der dem Bundesmodell entgegengebrachten Verfassungszweifel (s. VerfR GrStG Rz. 31 ff.).
Rz. 17
Neben politischem Kalkül (s. Rz. 16) sprechen bei der Entscheidungsaufgabe des Landesgesetzgebers auch fachliche Erwägungen für und gegen einen landesrechtlichen Sonderweg. Der jeweilige Landesgesetzgeber muss für sich entscheiden, ob er die "Chance der Neugestaltung" bei der Grundsteuer ergreift und dafür eigener Regelungsaufwand lohnt. Dabei ersparen sich die "Bundes-Folgeländer" nicht nur eigenen Normierungsaufwand gegenüber den Abweichungsländern, sondern auch weiteren Überwachungs- und Anpassungsaufwand. Das illustriert das sächsische Beispiel: Das erste LGrStG v. 3.2.2021 (s. LGrStG Sachsen Rz. 3) wurde durch die bundesgesetzliche Änderung von § 15 GrStG "überholt" und musste nochmals im Landtag bestätigt werden, um selbst die nach Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG entscheidende spätere Norm (s. VerfR GrStG Rz. 6) zu erlassen. Abweichungsländer müssen demnach den bundesgesetzlichen Regelungsstand überwachen und ggf. durch eigene Landesgesetzgebung darauf reagieren. Änderungen des Bundesgrundsteuer- und des Bewertungsgesetzes bedürfen der Begleitung und gegebenenfalls der parlamentarischen Anpassungen im Land. "Ping-Pong-Gesetzgebung" zwischen Bund und Ländern ist bei der Grundsteuer theoretisch denkbar, aber praktisch kaum zu befürchten. Die Entscheidung für eine Abweichungsgesetzgebung bedeutet aber gleichwohl eine Daueraufgabe, wenn das abweichende Landesrecht Bestand haben soll. Demgegenüber können sich dem Bund folgende Länder auf dauerhafte Inaktivität zurückziehen.