Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 324
§ 50d Abs. 12 EStG wurde durch G. v. 20.12.2016 eingeführt, um aus deutscher Sicht Besteuerungslücken bei Abfindungen anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses zu vermeiden, die durch die Rspr. des BFH entstehen können. Nach dieser Rspr. werden Abfindungen anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses nicht für die in der Vergangenheit geleisteten Dienste gezahlt, sondern sind eine Entschädigung für den Verlust künftiger Arbeitseinkünfte (§ 49 EStG Rz. 270ff.). Damit würde bei Anwendung eines dem Art. 15 OECD-MA entsprechenden Artikels eines DBA die Besteuerung nicht nach dem Tätigkeitsort der (früheren) nichtselbstständigen Arbeit erfolgen, sondern im Ansässigkeitsstaat. International wird diese Abfindung aber häufig der vergangenen Tätigkeit als Arbeitnehmer zugeordnet, sodass der Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht hat.
Auch in Konsultationsvereinbarungen wird das Besteuerungsrecht häufig dem früheren Tätigkeitsstaat zugeordnet. Die Ansicht des BFH kann also zu Doppelbesteuerungen, aber auch Doppelfreistellungen führen. Für die beschr. Steuerpflicht bestimmt § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG, dass Deutschland das Besteuerungsrecht für diese Abfindungen insoweit in Anspruch nimmt, als die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit gezahlten Vergütungen der deutschen Besteuerung unterlagen. Damit werden die Abfindungen anteilig der früheren Tätigkeit zugeordnet, sodass die Besteuerung nach dem Tätigkeitsort erfolgt. Diese Vorschrift enthält aber kein Treaty Override, sichert das deutsche Besteuerungsrecht also nur, wenn das jeweilig anwendbare DBA nicht anders auszulegen oder kein DBA anzuwenden ist. Besteht ein DBA, ist es nach der Rspr. des BFH jedoch so auszulegen, dass das Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat zusteht, sodass das Besteurungsrecht nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG bei Anwendbarkeit eines DBA insoweit ins Leere gehen würde und daher nur Bedeutung für Fälle hat, in denen kein DBA anzuwenden ist (siehe hierzu § 49 EStG Rz. 278). Außerdem gilt diese Regelung nicht für die unbeschränkte Steuerpflicht; in diesem Rahmen nahm die Bundesrepublik das Besteuerungsrecht nach dem Ansässigkeitsprinzip in Anspruch.
Rz. 325
Diese Rechtslage ändert § 50d Abs. 12 EStG, indem geregelt wird, dass bei Anwendung eines DBA die Abfindungen als für die frühere Tätigkeit geleistetes zusätzliches Entgelt zu behandeln sind. Die Abfindung ist daher anteilig der gesamten früheren Tätigkeit zuzuordnen und daher ebenso nach dem Tätigkeitsortsprinzip zu besteuern wie das Entgelt für die frühere Tätigkeit. Die Regelung enthält eine Fiktion, da die Abfindungen nach der Rspr. des BFH (Rz. 324) in Wirklichkeit kein Entgelt für die frühere Tätigkeit sind, und stellt ein Treaty Override dar, da die bei richtiger Auslegung des DBA erfolgende Zuordnung zum Ansässigkeitsstaat geändert und ein Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaates begründet wird. Die Regelung ist nach Art. 19 des G. v. 20.12.2016 ab 1.1.2017 anzuwenden. Maßgebend ist dabei die Auszahlung der Abfindung, weil für Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit das Zuflussprinzip (§ 11 EStG) gilt. Das Gesetz hat daher keine echte oder unechte Rückwirkung. Ein Problem des Vertrauensschutzes kann aber entstehen, wenn die Abfindungsvereinbarung bereits früher geschlossen und nur die Auszahlung der Abfindung verschoben wurde. In diesem Fall besteht kein Vertrauensschutz ab dem Zeitraum, in dem die Neufassung des § 50d Abs. 12 EStG erstmals in den Bundestag eingebracht wurde. Für davorliegende Vereinbarungen kann Vertrauensschutz bestehen, wenn der Stpfl. nicht mit einer Änderung der Rechtslage rechnen musste. Für weiter zurückliegend abgeschlossene Vereinbarungen (etwa 2015 und früher abgeschlossene Vereinbarungen) besteht m. E. kein Vertrauensschutz, weil ein Stpfl. bei solch langen Zeiträumen immer mit einer Änderung des Steuerrechts rechnen muss.
Rz. 326
Die Neuregelung erfasst Abfindungen, die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden. Der Begriff des Dienstverhältnisses bezieht sich auf nichtselbstständige Arbeit, nicht auf selbstständige bzw. freiberufliche Arbeit. Der Grund für die Beendigung des Dienstverhältnisses und der Zahlung der Abfindung ist nicht maßgebend. Das Dienstverhältnis kann aufgrund fristgemäßer oder fristloser Kündigung oder durch einvernehmliche Aufhebung enden. Die Zahlung der Abfindung kann auf Vereinbarung, gesetzlicher oder tarifvertraglicher Bestimmung beruhen oder freiwillig erfolgen. Es muss sich jedoch um eine Abfindung anlässlich der Beendigung des Dienstverhältnisses handeln. Die Beendigung des Dienstverhältnisses muss also der Anlass der Abfindung sein. Zahlung der Abfindung und Beendigung des Dienstverhältnisses müssen also in einem sachlichen, ursächlichen Zusammenhang stehen. Ein nur zeitlicher Zusammenhang reicht nicht aus. Nicht erfasst werden nachträgliche Zahlungen aufgrund des Dienstverhältnisses, wie anteilige Boni oder erfolgsabhängige Vergütungen. Ebenfalls vo...