Leitsatz

1. Durch die Schaffung und Reglementierung der Anhörungsrüge in allen Verfahrensordnungen zum 1.1.2005 sollte das Institut der Gegenvorstellung nicht ausgeschlossen werden. Wird also mit einer entsprechenden Eingabe nicht die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht, ist diese Eingabe weiterhin als Gegenvorstellung im herkömmlichen Sinn zu werten (Beseitigung der im BFH, Beschluss vom 8.9.2005, IV B 42/05, BFH-PR 2006, 37, geäußerten Zweifel).

2. Mangels einer besonderen Rechtsgrundlage ist die Gegenvorstellung ab 1.1.2005 unmittelbar auf Art. 19 Abs. 4 GG zu stützen. Sie ist damit weder fristgebunden noch kostenpflichtig.

 

Normenkette

Art. 19 Abs. 4 GG; § 133a FGO, § 321a ZPO

 

Sachverhalt

Der BFH hatte die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wegen Fristversäumnis als unzulässig verworfen. Mehrere Monate später wandte sich der damalige Kläger erneut an den BFH und trug vor, die Frist sei unverschuldet versäumt worden. Außerdem habe das FG ihm seinerzeit das rechtliche Gehör versagt.

 

Entscheidung

Der BFH würdigte das Vorbringen als Gegenvorstellung gegen seinen Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde. Ein solcher Rechtsbehelf sei auch nach Einführung der Anhörungsrüge nach § 133a FGO statthaft, soweit andere Verfahrensfehler als die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt würden. Die Rüge müsse sich aber auf schwer wiegende Grundrechtsverstöße oder greifbare Gesetzwidrigkeit beziehen. Solche Fehler mache der Kläger nicht geltend.

 

Hinweis

1. Die Entscheidung betrifft die ungeklärte und zwischen den Senaten des BFH streitige Frage, ob und wie außerhalb der im Gesetz ausdrücklich geregelten Rechtsbehelfe weitere Möglichkeiten zur Beseitigung schweren Verfahrensunrechts ohne Einschaltung des BVerfG bestehen. Nachdem die Rechtslage in den letzten Jahren weitgehend geklärt schien, hat der Gesetzgeber durch Einführung der Anhörungsrüge in allen Verfahrensordnungen (hier § 133a FGO) neue Unsicherheit geschaffen. Denn die Anhörungsrüge bezieht sich ausdrücklich nur auf die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs. Gleichzeitig heißt es in den Gesetzesmaterialien, man gehe davon aus, dass bei anderen schweren Verfahrensverstößen die bisher von der Rechtsprechung entwickelten außerordentlichen Rechtsbehelfe weiter gelten.

2. Damit war vor allem die sog. Gegenvorstellung gemeint, die alle obersten Bundesgerichte in analoger Anwendung des damaligen § 321a ZPO entwickelt hatten. Sie stand unter ähnlichen Voraussetzungen wie die heutige Anhörungsrüge, erfasste aber alle schwer wiegenden Verfahrensverstöße. Mit dem Anhörungsrügengesetz wurde aber auch § 321a ZPO geändert und regelt jetzt wie § 133a FGO ausdrücklich allein Fälle der Verletzung rechtlichen Gehörs.

Damit verbietet sich nach Auffassung des IV. Senats des BFH eine analoge Anwendung des jetzigen § 321a ZPO auf andere Verfahrensfehler. Will man – entsprechend den Äußerungen des Gesetzgebers – dennoch einen entsprechenden Rechtsbehelf beibehalten, kann man ihn nach Meinung des IV. Senats des BFH nur unmittelbar auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG stützen. Dann gelten aber Frist- und Formvorschriften des § 133a FGO nicht entsprechend. Es können auch keine Gerichtskosten erhoben werden.

3. Die Gegenvorstellung zeichnet sich dadurch aus, dass sie bei dem Gericht anzubringen ist, das die angegriffene Entscheidung erlassen hat. Sie kann deshalb auch gegen Entscheidungen des BFH selbst gerichtet werden.

Damit unterscheidet sich die Gegenvorstellung von der außerordentlichen Beschwerde, die der IV. Senat des BFH im Beschluss vom 8.9.2005 (Az. IV B 42/05, BFH-PR 2006, 37) in ganz besonderen Ausnahmefällen für statthaft gehalten hat. Sie ist danach statthaft, wenn eine objektiv greifbar gesetzwidrige Anwendung von Prozessrecht durch das FG gerügt wird.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 13.10.2005, IV S 10/05

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