Prof. Dr. Gerrit Frotscher
1 Systematische Einordnung
Grenzgänger (Grenzpendler) sind Personen, die in dem einen Staat aufgrund ihres Wohnsitzes (vgl. "Wohnsitz") ansässig sind, in dem anderen Staat jedoch tätig sind und aus diesem Staat im Wesentlichen ihre Einkünfte beziehen, dort also beschr. stpfl. sind (vgl. "Beschränkte Steuerpflicht"). I. d. R. wird es sich um Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit (vgl. "Nichtselbstständige Arbeit") handeln, doch sind auch andere Einkunftsarten, wie selbstständige Arbeit und Gewerbebetrieb, möglich. Die steuerliche Problematik besteht darin, dass den Grenzgängern aufgrund ihrer beschr. Steuerpflicht im Tätigkeitsstaat die persönliche Steuerermäßigungen, wie Grund- und Kinderfreibeträge, nicht gewährt werden. Im Ansässigkeitsstaat können sie solche Vergünstigungen regelmäßig nicht geltend machen, weil ihre Einkünfte aus dem Tätigkeitsstaat nach der Freistellungsmethode von der Steuer freigestellt werden und sie dort also kein stpfl. Einkommen haben.
Zur Lösung dieser Problematik sind 2 Konzeptionen entwickelt worden. Nach der ersten Konzeption bleibt das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaates unverändert; dieser Staat gewährt den Grenzgängern jedoch die Option, statt der beschr. Steuerpflicht die unbeschränkte Steuerpflicht zu wählen. Diese Konzeption ist in § 1 Abs. 3 EStG verwirklicht (vgl. "Fiktive unbeschränkte Steuerpflicht"). In der zweiten Konzeption, die nur für Arbeitnehmer gilt, wird in dem einschlägigen DBA vereinbart, dass der Tätigkeitsstaat sein Besteuerungsrecht aufgibt und die Einkünfte nur in dem Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers besteuert werden. Damit wird das in Art. 15 Abs. 1 OECD-MA enthaltene Tätigkeitsortsprinzip durch das Ansässigkeitsprinzip ersetzt. Diese Konzeption ist in Art. 15 Abs. 5 DBA Frankreich, Art. 15 Abs. 6 DBA Österreich und Art. 15a DBA Schweiz verwirklicht. Soweit diese Regelungen für Grenzgänger anwendbar sind, gilt § 1 Abs. 3 EStG nicht.
2 Inhalt
Voraussetzung für die Anwendung der Grenzgängerregelung der DBA ist, dass der Arbeitnehmer in der Grenzzone ansässig ist. Grenzzone nach dem DBA Frankreich ist auf deutscher Seite ein Streifen von bis zu 20 km, auf französischer Seite von bis zu 30 km Entfernung von der Grenze. Für das Verhältnis zu Österreich gilt eine Zone von je 30 km beiderseits der Grenze als Grenzzone. Das DBA Schweiz enthält keine Definition der Grenzzone; danach ist die Grenzgängerregelung nur von der Zahl der Nichtrückkehrtage abhängig.
Die Grenzgängerregelung ist weiter nur dann anwendbar, wenn der Arbeitnehmer täglich von dem Arbeitsort an seinen Wohnsitz zurückkehrt. Nichtrückkehrtage sind unschädlich, wenn sie eine bestimmte Zahl von Arbeitstagen nicht überschreiten. Arbeitstage sind vertraglich vereinbarte Arbeitstage, also nicht Sonn- und Feiertage, Urlaubstage sowie Krankheitstage. Ein Nichtrückkehrtag liegt nicht allein deshalb vor, weil sich die Arbeitszeit bedingt durch die Dauer der Tätigkeit oder die Anfangszeit über mehr als einen Kalendertag erstreckt. Nach der Konsultationsvereinbarung zum DBA Frankreich sind bis zu 45 Nichtrückkehrtage unschädlich. Nichtrückkehrtage sind danach Arbeitstage, an denen der Arbeitnehmer entweder nicht zum Wohnsitz zurückkehrt oder ganztägig außerhalb der Grenzzone arbeitet, einschließlich Dienstreisetagen. Nach der Grenzgängerregelung Schweiz sind bis zu 60 Nichtrückkehrtage unschädlich. Das DBA Österreich enthält keine Regelung zu Nichtrückkehrtagen.
Rechtsfolge ist nach den Grenzgängerregelungen der DBA Frankreich und Österreich, dass der Tätigkeitsstaat die Einkünfte des Arbeitnehmers freistellt und die Besteuerung im Wohnsitzstaat erfolgt. Anders ist es nach der Grenzgängerregelung Schweiz. Nach Art. 15a Abs. 1 DBA Schweiz kann der Tätigkeitsstaat eine Abzugssteuer bis zu 4,5 % des Arbeitslohns erheben, der Ansässigkeitsstaat bleibt zur Besteuerung berechtigt. Deutschland als Ansässigkeitsstaat rechnet diese Steuer an, die Schweiz als Ansässigkeitsstaat reduziert die Bemessungsgrundlage für die Steuer um 20 %.