Leitsatz
Der Verkauf eines Kirchengrundstücks durch eine Religionsgemeinschaft an eine andere konfessionsverschiedene Religionsgemeinschaft ist nicht wegen der fortgesetzten Grundstücksnutzung für sakrale Zwecke nach § 4 Nr. 1 GrEStG steuerbefreit.
Normenkette
§ 4 Nr. 1 GrEStG
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine Religionsgemeinschaft orthodoxer Konfession mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie kaufte im Jahr 2005 von einer als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannten evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde "für Zwecke des Gottesdienstes und der Seelsorge" ein mit einer Kirche und einem Pastorat bebautes Grundstück. Dieses befindet sich in einem Ortsteil, in dem ursprünglich mehrere evangelisch-lutherische Kirchengemeinden ansässig waren, die jeweils über eigene Kirchen verfügten. Vor dem Verkauf des Grundstücks wurden diese Kirchengemeinden zu einer Kirchengemeinde zusammengelegt.
Das FA versagte die Anwendung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 GrEStG und setzte gegen die Klägerin GrESt fest. Das FG gab der Klage statt, weil die Nutzung des Grundstücks für Gottesdienst und Seelsorge sowie die Verwaltung der auf dem Grundstück befindlichen Kirche öffentlich-rechtliche, auf das Grundstück bezogene Aufgaben und auf die Klägerin übergegangene Aufgaben seien (FG Hamburg, Urteil vom 5.11.2009, 3 K 71/09, Haufe-Index 2318882, EFG 2010, 1154).
Entscheidung
Die Revision des FA führte zur Abweisung der Klage aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen.
Hinweis
1.§ 4 Nr. 1 GrEStG begünstigt nach seiner Neufassung durch das StEntlG 1999/2.0.2002 vom 24.3.1999 (BGBl I 1999, 402) nur den Grundstückserwerb durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts "aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben". Dies setzt voraus, dass die übergehende Aufgabe im öffentlichen Recht wurzelt. Die Gesetzesfassung ist damit im Vergleich zum früheren Recht, wonach es nur des "Übergangs von Aufgaben" bedurfte, deutlich enger. Insbesondere folgt aus einer öffentlichen Aufgabe noch nicht, dass diese auch öffentlich-rechtlichen Charakter hat (vgl. z.B. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 10.4.1986, GmS-OBG 1/85, BGHZ 97, 312/314; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 22 Rz. 19 m.w.N.).
2. Der erforderliche Grundstücksübergang "aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben" ist nur gegeben, wenn mit dem Wechsel des Trägers einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe auch ein Übergang des Grundstückseigentums verbunden ist. Dabei verlangt § 4 Nr. 1 GrEStG den Übergang der nämlichen, bisher von der grundstücksveräußernden juristischen Person wahrgenommenen öffentlich-rechtlichen Aufgabe auf die grundstückserwerbende juristische Person. Aufgrund des geforderten Zusammenhangs zwischen dem Trägerwechsel und dem Grundstücksübergang sind die Befreiungsvoraussetzungen nicht schon dann erfüllt, wenn sowohl Veräußerer als auch Erwerber des Grundstücks Körperschaften des öffentlichen Rechts sind.
3. Ferner ist – bei fehlendem Trägerwechsel der nämlichen öffentlich-rechtlichen Aufgabe – auch eine nur funktionsgleiche Weiterverwendung eines Grundstücks durch den neuen (öffentlich-rechtlichen) Grundstücksträger – z.B. für Gottesdienstzwecke – für die Anwendung des § 4 Nr. 1 GrEStGnicht ausreichend. Religionsgemeinschaften nehmen je eigene Angelegenheiten wahr (Art. 140 GG/ Art. 137 Abs. 3 WRV). Mit der Veräußerung eines Kirchengrundstücks an eine konfessionsverschiedene Religionsgesellschaft geht daher keine von der veräußernden Religionsgesellschaft wahrgenommene öffentlich-rechtliche Aufgabe auf die erwerbende Körperschaft über.
Bei den in letzter Zeit zunehmenden Veräußerungen von Kirchengrundstücken werden daher jedenfalls in Fällen, in denen die Grundstücksübertragung zwischen konfessionsverschiedenen korporierten Religionsgemeinschaften erfolgt, die Voraussetzungen des § 4 Nr. 1 GrEStG im Regelfall nicht vorliegen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 1.9.2011 – II R 16/10