Vor- und Nachteile des subjektiven Verschuldensbegriffs: Durch die Zugrundelegung des subjektiven Verschuldungsprinzips ist die Rechtsprechung des BFH für den Steuerpflichtigen insoweit günstig, als er ggf. unterhalb des durchschnittlichen Steuerpflichtigen einzuordnen ist. Nach st. Rspr. gelten für ihn lediglich vereinfachte Anforderung hinsichtlich der Erfüllung von Sorgfaltspflichten, die im Besteuerungsverfahren durch die Mitwirkungspflichten konkretisiert sind. Hingegen wird bei einem Steuerpflichtigen, der oberhalb des durchschnittlichen Steuerpflichtigen einzustufen ist, nach der Rspr. ein schärferer Sorgfaltsmaßstab angesetzt (so in etwa BFH v. 28.6.1983 – VIII R 37/81, BStBl. II 1984, 2; v. 10.2.2015 – IX R 18/14, BStBl. II 2017, 7 = AO-StB 2015, 223). Bei der Einstufung des Steuerpflichtigen finden die Gegebenheiten des Einzelfalls und die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten Berücksichtigung (BFH v. 3.2.1983 – IV R 153/80, BStBl. II 1983, 324; v. 29.6.1984 – VI R 181/80, BStBl. II 1984, 693; AEAO zu § 173 Tz. 5.1.1. S. 1). Dabei werden dem Steuerpflichtigen, bei Zuhilfenahme eines steuerlichen Vertreters, dessen steuerlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zugerechnet (so auch Koenig in Koenig, AO, 4. Aufl., § 173 AO Rz. 125).
In Bezug auf die Zurechenbarkeit des Verschuldens Dritter ist die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs u.E. nicht gerechtfertigt. Bei den Mitwirkungspflichten handelt es sich um persönliche Pflichten der am Steuerverfahren beteiligten Parteien, die auch nach Zuhilfenahme fachkundiger Hilfe zur Erfüllung von steuerlichen Pflichten persönliche Pflichten bleiben. Eine spezielle gesetzliche Regelung über die Zurechenbarkeit des Verschuldens Dritter ist darüber hinaus nicht vorhanden. Außerdem erscheint die Zugrundelegung des subjektiven Verschuldungsprinzips zum einen und die Annahme der Zurechenbarkeit des Verschuldens Dritter zum anderen, welche typischer Ausfluss des objektiven Verschuldungsprinzips ist, wenig stringent. Denn insoweit wird ein Steuerpflichtiger, der sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten fachkundiger Hilfe bedient, in zweierlei Hinsicht dem Steuerpflichtigen ohne fachkundige Hilfe schlechter gestellt. Zum einen muss dieser sich generell nach BFH-Rechtsprechung das Verschulden seines steuerlichen Vertreters zurechnen lassen und zum anderen wird ihm dabei aufgrund des subjektiven Verschuldungsprinzips und der steuerlichen Fähigkeiten und Kenntnisse des steuerlichen Vertreters ein schärferer Sorgfaltsmaßstab auferlegt. Dies mag zwar durch die fachkundige Hilfe Dritter einleuchten, verstieße aber gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Steuerrechtsanwendung.
Konsequenz der Orientierung an dem subjektiven Verschuldungsmaßstab ist daher eine Ungleichbehandlung des Steuerpflichtigen (BFH v. 8.2.2017 – X B 80/16, BFH/NV 2017, 760; so auch Rüsken in Klein, AO, 15. Aufl., § 173 Rz. 112), die u.E. dem Besteuerungsgrundsatz i.S.v. § 85 AO entgegensteht. Der Steuerpflichtige, der sich zur gewissenhaften Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten eines Steuerberaters bedient, wird im Ergebnis dem ohne fachkundige Hilfe schlechter gestellt (so auch Friedl, DStR 1991, 1616 [1618]). Dabei besteht für ihn ein erhöhtes Risiko (so auch Friedl, DStR 1991, 1616 [1618]), da ihm das grobe Verschulden seines steuerlichen Beraters zugerechnet wird (BFH v. 14.10.2009 – X R 14/08, BStBl. II 2010, 533 = AO-StB 2010, 76). Grobes Verschulden ist daher bei Beauftragung eines steuerlichen Beraters im Rahmen von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO eher anzunehmen, als bei einer eigenständigen Erfüllung der steuerlichen Pflichten (BFH v. 3.2.1983 – IV R 153/80, BStBl. II 1983, 324).
U.E. ist eine Einzelfallprüfung im Hinblick auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung grobes Verschulden unter Einbezug von § 90 Abs. 1 S. 3 EStG durchaus sachgerecht. Vor dem Hintergrund der Pflicht zur gleichmäßigen Steuerfestsetzung durch die Finanzbehörde erscheint hingegen eine Verschärfung der Sorgfaltspflicht bei Steuerpflichtigen mit überdurchschnittlichen steuerlichen Fähigkeiten und Kenntnissen, beispielsweise durch die Inanspruchnahme eines steuerlichen Beraters, nicht rechtfertigbar. Daher ist u.E. zwar eine Einzelfallprüfung zu unterstellen, bei der jedoch der objektive Verschuldungsmaßstab anzuwenden ist. Ausnahme: Lediglich bei Steuerpflichtigen mit unterdurchschnittlichem Kenntnisstand wäre der Maßstab nach einem subjektiven Verschulden zugrunde zu legen. Bei Steuerpflichtigen unterhalb des Durchschnitts wäre sodann zur Einbeziehung des subjektiven Verschuldungsmaßstabes im Wege der Billigkeit zu berücksichtigen.