Dipl.-Finanzwirt Werner Becker, Hans-Günther Gilgan
Frage: Ich habe am 6.6.2022 ein Mandat niedergelegt, da uns der mandatsbearbeitende Mitarbeiter verlassen hat und ich auf absehbare Zeit nicht sicherstellen konnte, dass jemand anderes in der Kanzlei die Jahresbuchhaltung und die Steuererklärungen für 2020 fristgerecht bis zum 31.8.2022 würde erledigen können. Ich habe den Sachverhalt auf Wunsch des Mandanten beim Finanzamt vorgetragen und um Fristverlängerung für die Abgabe der Erklärungen gebeten, sollte es dem Mandanten nicht gelingen, zeitnah einen neuen Steuerberater zu finden.
Der Mandant hat inzwischen die Steuerbescheide erhalten und mir die Verspätungszuschläge weiterberechnet. Wie sehen Sie das? Ich hatte mich vor einigen Jahren schon mal diesbezüglich von einem Rechtsanwalt beraten lassen. Die Kernaussage lautete nach meiner Erinnerung, dass man grundsätzlich jederzeit kündigen könne, nur nicht zur Unzeit. Aus meiner Sicht sind 3 Monate vor Ende der Abgabefrist noch keine Unzeit.
Antwort: Ich kann zunächst bestätigen, was Ihnen der Rechtsanwalt damals mitgeteilt hatte. Steuerberatungsleistungen sind als sog. Dienste höherer Art grundsätzlich jederzeit kündbar (§ 627 Abs. 1 BGB). Die Kündigung darf, sofern kein wichtiger Grund vorliegt, nur nicht zur sog. Unzeit erfolgen (§ 627 Abs. 2 BGB). Eine Kündigung zur Unzeit ist es dann, wenn für den (Ex-)Mandanten nicht mehr ausreichend Zeit besteht, um sich die gekündigten Dienste anderweitig zu beschaffen.
Eine sich aus der Beschaffung der anderweitigen Dienste für den (Ex-)Mandanten ergebende höhere finanzielle Belastung, da z. B. der Folgeberater mehr verlangt als der bisherige Steuerberater, spielt für das Kriterium der Unzeit grundsätzlich keine Rolle (so bereits OLG Düsseldorf, Urteil v. 3.7.1986, 18 U 45/86). Eine Kündigung zur Unzeit macht die Kündigung nicht unwirksam. Rechtsfolge einer zur Unzeit erfolgten Kündigung ist die Leistung von Schadensersatz.
Wo genau die zeitlichen Grenzen der Kündigung zur Unzeit liegen, lässt sich nicht allgemein sagen und hängt vom Einzelfall ab. So wird für ein einfaches ESt-Mandat ein anderer zeitlicher Vorlauf anzusetzen sein als für einen mittelständischen Konzern.
Als zeitliche Untergrenze für eine Kündigungsfrist würde ich einen Monat ansetzen, insbesondere da sich diese Zeitdauer in verschiedenen, Steuerberatungsleistungen betreffenden Vorschriften widerspiegelt (steuerlicher Voranmeldungszeitraum (§ 18 Abs. 2 UStG bei Umsatzsteuer > 7.500 EUR/Jahr; § 41a Abs. 2 EStG bei Lohnsteuer), Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 AO), AGB-Kündigungsfrist bei Dauerverträgen (§ 309 Nr. 9c BGB), Bestellung Praxisvertreter (§ 69 Abs. 1 StBerG) u. ä.).
Aus meiner Sicht ist deshalb eine Kündigung mit einer Frist von (fast) 3 Monaten, so wie in Ihrem Fall, grundsätzlich noch kein Fall einer Kündigung zur Unzeit, die zu Schadensersatzleistungen verpflichten würde. Sie sollten die Ansprüche des Mandanten deshalb unter Hinweis auf die erfolgte Mandatsbeendigung zurückweisen.
Autor: Simon Beyme, Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht/Steuerberater, Römermann Rechtsanwälte AG, Berlin