Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Leitsatz
Bei der Lieferung von Blutplasma in das Ausland geht die Steuerbefreiung nach § 4 Nr 17 Buchst. a UStG vor und lässt für damit im Zusammenhang stehende Eingangsleistungen keinen Vorsteuerabzug zu. Kein Vertrauensschutz bei rückwirkendem Antrag auf Erstattung von Vorsteuern.
Sachverhalt
Die Klägerin, eine gemeinnützige GmbH, handelt u. a. mit Blutplasma. Unter anderem verkaufte sie das Blutplasma auch in das Ausland (Drittlandsgebiet und übriges Gemeinschaftsgebiet). Für die Lieferungen in das Ausland wurde für damit im Zusammenhang stehende Eingangsleistungen kein Vorsteuerabzug geltend gemacht. Nach einer Aussenprüfung wurde vom zuständigen Finanzamt der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. Dagegen legte die Klägerin am 14.2.2007 Einspruch ein und beantragte zusätzlich zu den bisher geltend gemachten Vorsteuerbeträgen solche aus Blutplasmalieferungen ins Ausland für 2001 und 2002. Es bestehe ein Vertrauensschutz auf die Verwaltungsregelung des Abschn. 204 Abs. 4 UStR 2000/2005, in der bei einer Konkurrenz der Steuerbefreiungsvorschriften die in § 15 Abs. 3 Nr. 1 UStG aufgeführten Vorschriften vorgehen würden.
Das Finanzamt stellte bei einer erneuten Überprüfung fest, dass es sich bei den Lieferungen um Reihengeschäfte (hier ruhende Lieferungen) handelte und somit keine Ausfuhrlieferungen / innergemeinschaftliche Lieferungen vorliegen würden, sondern steuerfreie Lieferungen nach § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG, die den Vorsteuerabzug ausschlössen.
Entscheidung
Die Klage wurde vom FG als unbegründet abgewiesen.
Nach dem Urteil des EuGH v. 07.12.2006, C-240/05 - Eurodental, BFH/NV Beilage 2007 S. 204) sei gemeinschaftsrechtlich klargestellt, dass bei einer Konkurrenz zweier Steuerbefreiungsvorschriften die speziellere Befreiungsvorschrift (hier § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG) der allgemeineren Befreiungsvorschrift (hier § 4 Nr. 1 Buchst. a bzw. § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG) vorgehen würde. Dass die Finanzverwaltung erst mit BMF-Schreiben v. 11.4.2011, BStBl 2011 I S. 459) darauf reagierte und den UStAE entsprechend anpasste, kann keinen Vertrauensschutz begründen. Insoweit würde es nicht darauf ankommen, ob es sich um Lieferungen im Reihengeschäft handeln würde und wie diese zu beurteilen wären.
Der Steuerpflichtige kann - außerhalb des Anwendungsbereichs des § 176 AO - nach dem Grundsatz von Treu und Glauben einen Anspruch auf Vertrauensschutz haben, wenn sich die Rechtsprechung verschärft und der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage Dispositionen getroffen hat. Im vorliegenden Fall ist aber nicht unter Berufung auf das EuGH-Urteil nachträglich ein Vorsteuerabzug verwehrt worden, sondern die Klägerin habe erst nachdem das Urteil des EuGH bekannt war den Antrag auf Erstattung der Vorsteuerbeträge gestellt. Die Klägerin hat insoweit in Bezug auf Abschn. 204 Abs. 4 UStR 2000/2005 keine Dispositionen getroffen, die schützenswert sind.
Eine Selbstbindung der Verwaltung tritt nur bei solchen Verwaltungsanweisungen ein, die die Ausübung eines der Verwaltung eingeräumten Ermessens regeln. Derartige ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften können unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung und damit der Beachtung von Art. 3 Abs. 1 GG bei der gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen von Bedeutung sein. Jedoch handelt es sich bei Abschn. 204 Abs. 4 UStR nicht um eine solche ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift, sondern um eine norminterpretierende. Diese sind voll gerichtlich überprüfbar. Daher findet eine Bindung gegenüber dem Gericht nicht statt.
Hinweis
Seit dem Urteil des EuGH v. 07.12.2006 war klar, dass die speziellen, den Vorsteuerabzug ausschließenden Steuerbefreiungsnormen den allgemeinen, den Vorsteuerabzug zulassenden Steuerbefreiungsnormen systematisch vorgehen müssen. Dass die Finanzverwaltung bis 2011 gebraucht hat, um dies umzusetzen ist nicht erfreulich, kann aber - zumindest bei Anträgen auf rückwirkende Erstattung von Vorsteuerbeträgen - keinen Vertrauensschutz begründen.
Da es in einem vergleichbaren Fall noch keine Entscheidung des BFH gegeben hat, hat das FG Revision zugelassen. Das Verfahren ist beim BFH unter V R 30/12 anhängig.
Link zur Entscheidung
Sächsisches FG, Urteil vom 26.09.2012, 2 K 779/12