Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Die Einkünfte und Bezüge des Kindes i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sind nicht um die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu mindern. Die Beiträge sind im Kalenderjahr 1997 in ausreichendem Umfang bereits bei der Bemessung des Jahresgrenzbetrags im Sinn dieser Bestimmung berücksichtigt (Anschluss an das BFH-Urteil vom 21.7.2000, VI R 153/99, BStBl II 2000, 566).
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
Sachverhalt
Der Kläger bezog im Kalenderjahr 1997 Kindergeld für seine im Dezember 1975 geborene Tochter I. I erzielte in diesem Jahr Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von (Arbeitslohn 27.095 DM minus Werbungskosten 14.112 DM) 12.983 DM. Nach Abzug der Sonderausgaben, insbesondere der geleisteten Sozialversicherungsbeiträge (5.522 DM), sowie der außergewöhnlichen Belastungen (6 DM) betrug ihr zu versteuerndes Einkommen 7.418 DM.
Nachdem der Beklagte von diesen Einkünften erfahren hatte, hob er die Kindergeldfestsetzung vom 20.1.1997 für das Kalenderjahr 1997 wegen Überschreitens des Jahresgrenzbetrags des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auf und forderte das für das laufende Jahr gezahlte Kindergeld in Höhe von 2.640 DM vom Kläger zurück. Das FG gab der Klage statt. Es vertrat die Ansicht, dass der Jahresgrenzbetrag i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verfassungskonform nach Abzug nicht nur der "Einkünfte", sondern auch unter Berücksichtigung der Sonderausgaben und der außergewöhnlichen Belastungen nach dem "Einkommen" des Kindes zu berechnen sei (EFG 2003, 1250).
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil auf. Er bestätigte damit – mit den oben dargestellten Ergebnissen – im Wesentlichen das im Leitsatz zitierte Urteil des VI. Senats vom 21.7.2000, VI R 153/99 (BStBI II 2000, 566).
Hinweis
Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG wird ein über 18 Jahre altes Kind in Ausbildung beim Familienleistungsausgleich nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind (Vergleichsbetrag), von nicht mehr als in dem vom Gesetzgeber für das jeweilige Kalenderjahr festgesetzten Betrag (Jahresgrenzbetrag) hat. Die im vorliegenden Fall zu klärende Frage war, ob die vom Arbeitslohn des Kindes einbehaltenen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung dem anzusetzenden Vergleichsbetrag (hier die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit) mindern oder ob und ggf. inwieweit sie im Rahmen der Bemessung des Jahresgrenzbetrags zu berücksichtigen sind.
Eine Minderung der Einkünfte wäre nur möglich, wenn man den Einkünftebegriff – nach dem vom Arbeitslohn nur Werbungskosten abgezogen werden können – im Kindergeldrecht umfassender auslegen würde als im Einkommensteuerrecht; denn die Sozialversicherungsbeiträge gehören nicht zu den Werbungskosten, sondern zu den Sonderausgaben. Der BFH hat eine solche "korrigierende Auslegung" entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung auch für den vorliegenden Fall abgelehnt.
Das bedeutet, dass auch in anderen Fällen, in denen dem Kind Aufwendungen entstehen, denen es sich nicht entziehen kann, ein Abzug im Rahmen des Vergleichsbetrags nicht in Betracht kommt, wenn es sich nicht um Werbungskosten oder um einen "ausbildungsbedingten Mehrbedarf" i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG handelt.
Wie schon der VI. Senat des BFH vor ihm (Urteil vom 21.7.2000, VI R 153/99, BStBI II 2000, 566) hält auch der VIII. Senat eine Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge allenfalls im Rahmen des Jahresgrenzbetrags für möglich. Denn nur dieser Betrag gilt für alle Einkunftsarten und ist deshalb in der Lage, im Vergleichsbetrag nicht berücksichtigungsfähige Abzugsposten aufzunehmen. Eine abschließende Entscheidung dazu musste der BFH jedoch nicht treffen, denn der Jahresgrenzbetrag ist so bemessen, dass er einen zusätzlichen Abzugsposten "Sozialversicherungsbeiträge" oder – weitergehend – eine allgemeine Vorsorgepauschale in hinreichendem Maß berücksichtigt. Dabei geht der BFH von folgenden Erwägungen aus:
- Verfassungsrechtlich geboten sei die Berücksichtigung des sächlichen Existenzminimums des Kindes, das er durch den Kinderfreibetrag (§ 32 Abs. 6 EStG) gewährleistet sieht; den Ansatz des für alleinstehende Erwachsene geltenden Grundfreibetrags (§ 32a Abs. 1 EStG) hat der BFH ausdrücklich abgelehnt.
- Dieser Bedarf erhöhe sich um den halben Ausbildungsfreibetrag (§ 33a Abs. 2 EStG) zur Abdeckung der durch die auswärtige Unterbringung des Kindes entstehenden zusätzlichen Kosten (anknüpfend an die Ausführungen des BVerfG im Beschluss vom 26.1.1994, 1 BvL 12186, BStBI II 1994, 307).
In dem Unterschiedsbetrag zwischen dem so ermittelten Bedarf des Kindes und dem jeweiligen Jahresgrenzbetrag lasse sich die ggf. zu berücksichtigende Vorsorgepauschale in verfassungsrechtlich unbedenklichem Umfang unterbringen. Auszugehen sei dabei von der Hälfte der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, weil es den Eltern zuzumuten sei, die andere Hälfte der Ausbildungskosten für die Kinder selbst zu tragen.
Anhand dieser Berechnungsschritte lässt sich für jedes Ka...