Leitsatz
Für die Prüfung, ob ein volljähriges blindes Kind i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, ist bei dem Vergleich seiner Einkünfte und Bezüge mit seinem existenziellen Lebensbedarf (Grundbedarf und behinderungsbedingter Mehrbedarf) das Blindengeld zwar den zur Bestreitung des Lebensunterhalts geeigneten Bezügen zuzuordnen. Jedoch ist es bei der Ermittlung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs anstelle des Pauschbetrags für behinderte Menschen nach § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG anzusetzen, wenn es der Höhe nach den Pauschbetrag übersteigt. Es ist zu vermuten, dass in Höhe des tatsächlich ausgezahlten Blindengelds ein behinderungsbedingter Mehraufwand besteht.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG
Sachverhalt
Die Familienkasse lehnte den Kindergeldantrag der Klägerin für ihren volljährigen blinden Sohn mit der Begründung ab, er habe ausreichende Einnahmen, um sich selbst zu unterhalten.
Für den Lebensbedarf setzte die Familienkasse den Jahresgrenzbetrag als Grundbedarf und den Behinderten-Pauschbetrag als Mehrbedarf an.
Bei den Bezügen erfasste es neben Wohngeld und Rente das tatsächlich gezahlte Blindengeld.
Das FG wies die Klage ab.
Entscheidung
Die Revision führte zur Stattgabe der Klage. Der BFH setzte als behinderungsbedingten Mehrbedarf nicht den Behinderten-Pauschbetrag, sondern das tatsächlich gezahlte – höhere – Blindengeld an. Damit überstieg der Gesamtbedarf die Einkünfte/Bezüge, sodass der Sohn der Klägerin außerstande war, sich selbst zu unterhalten.
Hinweis
Für ein volljähriges behindertes Kind besteht ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Ein behindertes Kind ist dann imstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es mit den ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln seinen gesamten notwendigen Lebensbedarf bestreiten kann.
Der existenzielle Lebensbedarf setzt sich aus dem allgemeinen Lebensbedarf ( Grundbedarf) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Für den Grundbedarf gilt der Jahresgrenzbetrag der schädlichen Einkünfte und Bezüge von derzeit 7.680 € als Maßstab. Der Mehrbedarf umfasst die Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben, das sind die mit der Behinderung zusammenhängenden außergewöhnlichen Belastungen wie Wäsche, Hilfeleistungen, Erholung und typische Erschwernisaufwendungen. Werden diese Mehraufwendungen im Einzelnen nicht nachgewiesen, kann der Behinderten-Pauschbetrag als Anhalt für den Mehrbedarf dienen.
Erhält ein behindertes Kind Pflegegeld aus der Pflegeversicherung, kann der Behinderten-Pauschbetrag nicht zusätzlich als behinderungsbedingter Mehrbedarf angesetzt werden. Denn Aufwendungen, die bereits von dem Pflegegeld erfasst sind, können nicht nochmals als Bedarf angesetzt werden. Es wird jedoch vermutet, dass mindestens ein Mehrbedarf in Höhe des gezahlten Pflegegelds entsteht.
Ebenso ist es bei der Zahlung von Blindengeld. Auch hier wird vermutet, dass ein behinderungsbedingter Mehrbedarf in Höhe des gezahlten Blindengelds besteht. Das bedeutet, dass das Blindengeld zwar bei den Bezügen zu erfassen ist. Andererseits ist es – wenn es höher ist als der Behinderten-Pauschbetrag – anstelle dieses Betrags als behinderungsbedingter Mehrbedarf anzusetzen.
Damit ist das Kind für das Kindergeld zu berücksichtigen, wenn die Summe aus Grundbedarf und Blindengeld die Einkünfte und Bezüge (Wohngeld, Rente usw.) einschließlich des Blindengelds übersteigt.
Entscheidend für die Ermittlung des Mehrbedarfs ist die Höhe des tatsächlich gezahlten Blindengelds, auch wenn dieses in den einzelnen Bundesländern erheblich differiert. Denn die unterschiedliche Höhe orientiert sich auch an den unterschiedlichen Lebenshaltungskosten.
Die Vermutung, dass das jeweilige Blindengeld dem tatsächlichen Mehrbedarf entspricht, führt daher zu keiner Ungleichbehandlung. Denn einerseits ist bei niedrigem Blindengeld auch nur der geringere Betrag bei den Bezügen zu erfassen. Andererseits kann als Mindestbetrag beim Mehrbedarf immer der Behinderten-Pauschbetrag, das ist der gesetzlich angenommene pauschale Mehraufwand, angesetzt werden, wenn dieser höher als das gezahlte Blindengeld ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 31.8.2006, III R 71/05