Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahlung der Annahmeverzugsvergütung ohne Anrechnung eines (fiktiven) anderweitigen Verdienstes wegen böswilligen Unterlassens
Leitsatz (amtlich)
Im Falle einer einseitigen Freistellung in der Kündigungsfrist nach einer arbeitgeberseitigen Kündigung unterlässt es der Arbeitnehmer innerhalb der Kündigungsfrist nicht böswillig, anderweitigen Verdienst zu erzielen, wenn er mit Bewerbungen auf vom Arbeitgeber mitgeteilte offene Stellen zuwartet bis zu einem zeitnah anberaumten Kammertermin über die Kündigungsschutzklage.
Normenkette
BGB §§ 615, 615 S. 1, 2
Verfahrensgang
ArbG Villingen-Schwenningen (Entscheidung vom 16.11.2023; Aktenzeichen 7 Ca 216/23) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen, Kammern Radolfzell vom 16.11.2023 - 7 Ca 216/23 - abgeändert:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.440,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2023 zu bezahlen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufung über Annahmeverzugsvergütung. Die Beklagte wendet ein, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen.
Der Kläger ist bei der Beklagten aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrags vom 18. Oktober 2019 seit dem 01. November 2019 zuletzt als Senior Consultant zu einem Bruttomonatsverdienst in Höhe von 6.440,- EUR beschäftigt.
Mit Schreiben vom 29. März 2023 - dem Kläger am 31. März 2023 zugegangen - kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. Juni 2023 und stellte ihn unwiderruflich unter Fortzahlung der vertraglichen Vergütung unter Anrechnung etwaiger noch bestehender sowie ggf. neu entstehender Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche frei. In der Kündigung heißt es weiter: "Ihren noch bestehenden Urlaub im Umfang von 11 Urlaubstagen gewähren wir Ihnen zu Beginn der unwiderruflichen Freistellung ab dem 03.04.2023. Anderweitige Einkünfte, die Sie im Freistellungszeitraum nach der Abgeltung etwaiger Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche erzielen, werden gemäß § 615 Satz 2 BGB auf Ihre laufenden Vergütungsansprüche angerechnet."
Der Kläger meldete sich Anfang April 2023 bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend. Die verbliebenen 11 Resturlaubstage des Klägers wurden im April und Mai 2023 genommen. Die Beklagte hat dem Kläger mit Schreiben vom 12. Mai 2023 ein Exposé mit elf Jobangeboten übersandt. Mit Schreiben vom 24. Mai 2023, 02.Juni 2023 und 19. Juni 2023 hat die Beklagte dem Kläger jeweils ein weiteres Exposé mit weiteren Jobangeboten (24. Mai 2023: 11 Jobangebote; 02. Juni 2023: 9 Jobangebote; 19. Juni 2023: 12 Jobangebote) übersandt. Sämtliche dieser Stellenangebote sahen etwa umfangreiche Home-Office Möglichkeiten vor und/oder befanden sich in Süddeutschland, sodass der Kläger die Arbeitsstätte mit zumutbarem Aufwand hätte erreichen können. Es handelte sich um anerkannte Arbeitgeber und vergleichbare Stellen im Tätigkeitsfeld des Consultants und auch im Bereich Data Engineering, welches der Tätigkeitsschwerpunkt des Klägers ist. Die Beklagte hat den Kläger in ihren Schreiben jeweils gleichzeitig aufgefordert, sich um eine Anstellung auch bezogen auf diese Jobangebote zu bemühen, auf § 615 S. 2 BGB verwiesen und den Kläger jeweils auch von seinem vertraglichen und gesetzlichen Wettbewerbsverbot befreit. Der Kläger hat sich erstmals am 28. Juni 2023 auf ein Jobangebot beworben. Von den 43 von der Beklagten an den Kläger übersandten Stellenangeboten hat sich der Kläger auf sieben Stellenangebote beworben. Eine Lohnzahlung für Juni 2023 an den Kläger durch die Beklagte erfolgte nicht.
Durch Urteil des Arbeitsgerichts Villingen - Schwenningen - Kammern Radolfzell - vom 29.Juni
2023 (Az.: 7 Ca 113/23) wurde die Kündigung für unwirksam erklärt. Das Berufungsverfahren vor dem LAG Baden-Württemberg ist unter dem Az. 11 Sa 61/23 anhängig.
Mit seiner am 03. Juli 2023 beim Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen - Kammern Radolfzell - erhobenen Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Lohnzahlung für Juni 2023.
Vor dem Arbeitsgericht hat der Kläger vorgetragen, es sei lebensfremd davon auszugehen, dass bei einer Bewerbung im Mai 2023 eine Einstellung am 1. Juni 2023 erfolgen würde. Der Kläger habe daher nicht den Ausdrucken aus den Jobportalen im Einzelnen nachgehen und sich darauf bewerben müssen. Ferner habe er erst im Laufe des Juli 2023 erste durch die Agentur für Arbeit vorgeschlagene Stellenangebote erhalten.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.440,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2023 zu bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, dass ohne anderweitiger Angaben seitens des Klägers, insbesondere mangels Informationen über Bewerbungserfolge auf ihm übersandte Jobangebote, davon ausgegangen werden ...