Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksame Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen. Kündigung wegen narzisstischer Persönlichkeitsstörung. Abgestufte Darlegungslast des Arbeitgebers bei Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Es bestehen formelle und materielle Anforderungen an eine Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG.
2. Eine Kündigung bei häufigen Kurzerkrankungen auf Grundlage einer negativen Gesundheitsprognose (hier: narzisstische Persönlichkeitsstörung) ist wirksam.
3. Bei krankheitsbedingter Kündigung liegt die abgestufte Darlegungslast beim Arbeitgeber.
Normenkette
KSchG § 1; ZPO § 138 Abs. 2; BetrVG § 102
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 17.07.2020; Aktenzeichen 7 Ca 1267/19) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln 17.07.2020 - 7 Ca 1267/19 - wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der arbeitgeberseitigen ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung des Klägers.
Der am 1987 geborene, ledige und kinderlose Kläger war seit dem 15.08.2014 als Straßenreiniger im Arbeitsverhältnis bei der Beklagten beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen betrug zuletzt 2.737,48 €. Vor seiner Anstellung bei der Beklagten war der Kläger mehrere Jahre bei einer Zeitarbeitsfirma im Betrieb der Beklagten eingesetzt.
Im Betrieb der Beklagten sind weit mehr als 10 Mitarbeiter - nämlich ca. 1.700 Arbeitnehmer - beschäftigt.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 11.02.2019 unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum 31.03.2019.
Mit seiner Klage vom 25.02.2019 wendet sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der arbeitgeberseitigen Kündigung vom 11.02.2019. Mit Klageerweiterung vom 24.04.2019 begehrt der Kläger die Weiterbeschäftigung und den Erhalt eines Zwischenzeugnisses sowie hilfsweise eines Schlusszeugnisses.
Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, hinreichende krankheitsbedingte Kündigungsgründe seien nicht gegeben. Die Krankheitsanfälligkeit des Klägers ab dem Kalenderjahr 2016 beruhe auf einer tiefen psychischen Krise des Klägers wegen des Todes seines Arbeitskollegen. Die Erkrankungsursache sei zwischenzeitlich behoben. Der Kläger habe hierzu durch Durchführung eines Fitnessprogramms, der Neuordnung seines persönlichen Umfelds beigetragen und so die psychische Labilität in der Vergangenheit überwunden. Die Beklagte habe sich nicht ernsthaft bemüht, ihn dabei zu unterstützen. Sie habe lediglich ein Fehlzeitengespräch mit ihm während der langen Arbeitsunfähigkeitszeiten geführt. Hierauf sei er von der Gruppenarbeit in die Solotätigkeit versetzt worden, was dann aber wieder von der Beklagtenseite rückgängig gemacht worden sei. Die Beklagte habe vor Ausspruch der Kündigung erneut ein weiteres BEM-Verfahren durchführen müssen, was sie pflichtwidrig unterlassen habe wegen der im Anschluss an die letzte Einladung zum BEM-Gespräch angefallenen Zeiten weiterer Arbeitsunfähigkeit des Klägers. Vor der Kündigung im Februar 2019 seien nämlich mehr als sechs Wochen Arbeitsunfähigkeitszeiten beim Kläger aufgetreten. Seine behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung durchweg positiv beurteilt. Zudem hat der Kläger erstinstanzlich die ordnungsgemäße Durchführung der Betriebsratsanhörung bestritten.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 11.02.2019 nicht aufgelöst ist;
- die Beklagte zu verurteilen, den Kläger für den Fall des Obsiegens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu arbeitsvertraglich unveränderten Bedingungen als Straßenreiniger weiterzubeschäftigen;
- die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Arbeitszeugnis als Zwischenzeugnis zu erteilen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erstinstanzlich die Meinung vertreten, die ordentliche Kündigung vom 11.02.2019 habe das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wirksam zum 31.03.2019 beendet, da die Beklagte sich auf hinreichende krankheitsbedingte Gründe wegen häufiger Kurzerkrankungen des Klägers für die soziale Rechtfertigung der Kündigung im Sinne des § 1 Absatz 2 KSchG berufen könne. Die Beklagte hat erstinstanzlich auf die Fehlzeiten des Klägers im Umfang von 93 Tagen im Jahr 2016, 132 Tagen im Jahr 2017, 86 Tagen im Jahr 2018 und im Umfang von 31 Tagen bis zum 29.03.2019 verwiesen. Hierzu hat die Beklagte behauptet, dies stelle eine weit überdurchschnittliche Fehlquote im Verhältnis zu den Fehlzeiten der sonstigen Belegschaft im Bereich der Straßenreinigung der Beklagten dar. Die erhebliche betriebliche Beeinträchtigung liege jedenfalls in den erheblichen Entgeltfortzahlungskosten in den Jahren 2016 bis 2019 im Umfang von 60.059,34 €. Aufgrund der Fehlzeitengespräche mit dem Kläger vom 06.01. und 05.04.2017 sei der Wechsel des Klägers hinsichtlich seiner Einsatzgruppe und dabei vorüb...