Leitsatz
1. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 von der gem. Art. 28 Abs. 3 Buchst. b i.V.m. Anhang F Nr. 16 der 6. EG-RL bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, die gem. Art. 4 Abs. 3 Buchst. a von der Steuerbefreiung des Art. 13 Teil B Buchst. g der 6. EG-RL ausgenommene Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen vor dem Erstbezug weiterhin von der USt zu befreien.
2. Beim Verkauf eines neu errichteten Gebäudes ist der über eine einfache "Grundausstattung" hinausgehende Einbau von zusätzlichen Treppen, Wänden, Fenstern, Duschen sowie die Errichtung von Garagen und Freisitzüberdachungen durch den Verkäufer jedenfalls dann ein Bestandteil der steuerfreien Grundstückslieferung, wenn das Gebäude dem Erwerber in dem gegenüber der "Grundausstattung" höherwertigen Zustand übergeben wird.
Normenkette
§ 1 Abs. 1, § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 15 Abs. 1, § 14 UStG 1999, § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG, Art. 4 Abs. 3 Buchst. a, Art. 13 Teil B Buchst. g, Art. 28 Abs. 3 Buchst. b, Anhang F Nr. 16 der 6. EG-RL
Sachverhalt
Die Klägerin schloss mit Erwerbern notariell beurkundete Grundstückskauf- und Bauwerkverträge, in denen sie sich zur Errichtung eines Hauses/einer Wohnung mit beschriebener Grundausstattung verpflichtete. Nach den Verträgen konnten die Käufer – gesondert – Abweichungen gegenüber der Baubeschreibung vereinbaren, u.a. auch eine höherwertige Ausstattung oder zusätzliche Fenster oder Garagen etc.
Das FA beurteilte diese Leistungen als steuerpflichtig. Die Klage hatte Erfolg (FG Münster, Urteil vom 24.05.2005, 15 K 3850/03 U, Haufe-Index 1384573, EFG 2005, 1387).
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Auffassung des FG, die streitigen Zusatzleistungen seien Bestandteil der ausgeführten Grundstückslieferungen. Es handle sich zwar nicht um Nebenleistungen, weil sie nicht lediglich dazu dienten, die Hauptleistung "Lieferung eines bebauten Grundstücks bzw. einer Wohnung" unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers sei aber beim Erwerb eines neu errichteten Gebäudes der über eine "Grundausstattung" hinausgehende Einbau von zusätzlichen Wänden, Treppen etc. jedenfalls dann ein Bestandteil der Grundstückslieferung, wenn – wie im Streitfall – das Grundstück in dem vereinbarungsgemäß höherwertigen Zustand übergeben wird. Dass die Zusatzleistungen gesondert (nicht notariell beurkundet) vereinbart worden sind, war unerheblich.
Werden nach Übergabe des Gebäudes/der Wohnung Bauleistungen erbracht, kommt die Beurteilung als einheitliche Leistung nicht mehr in Betracht. Der BFH ließ dies offen.
Da die von der Klägerin ausgeführten Zusatzleistungen umsatzsteuerrechtlich unselbstständiger Teil der Grundstückslieferung sind, "fallen sie" i.S.d. § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 wie diese unter das GrEStG und werden von dieser Steuerbefreiung umfasst.
Im Übrigen sind auch grunderwerbsteuerrechtlich Vergütungen für nachträglich vereinbarte Sonderwünsche gem. § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG der Gegenleistung zuzurechnen (BFH, Urteil vom 26.04.2006, II R 3/05, BFH/PR 2006, 372).
Hinweis
1. Die Steuerbefreiung in § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 für "Umsätze, die unter das GrEStG fallen", weicht von Art. 13 Teil B Buchst. g 6. EG-RL ab. Diese befreit "Lieferungen von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, mit Ausnahme der in Art. 4 Abs. 3 Buchst. a bezeichneten Gegenstände". Dort ist die "Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt" erwähnt. Das Gemeinschaftsrecht unterscheidet somit zwischen Neubauten und Baugrundstücken einerseits sowie Altbauten und sonstigen Grundstücken andererseits.
Die Abweichung ist nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. b i.V.m. Anhang F Nr. 16 der 6. EG-RL zulässig; vor allem zu beachten ist aber die Priorität des USt-Rechts vor dem GrEStG. Es ist deshalb ständige Rechtsprechung, dass der zu beurteilende Sachverhalt zunächst umsatzsteuerrechtlich zu erfassen ist und erst danach grunderwerbsteuerrechtlich zu würdigen ist. Das bedeutet: umsatzsteuerrechtlich zu prüfen ist, ob eine oder mehrere Leistungen vorliegen.
2. Die Grundsätze zur Beurteilung der Frage, ob eine einheitliche oder mehrere selbstständig zu beurteilende Leistungen vorliegen, können als bekannt gelten. Es ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen.
3. Liegt umsatzsteuerrechtlich eine einheitliche Leistung vor, die unter § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG fällt, ist diese Leistung steuerfrei, auch dann, wenn bei grunderwerbsteuerrechtlicher Beurteilung nicht alle Leistungen in die Bemessungsgrundlage für die GrESt einzubeziehen wären.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 24.01.2008, V R 42/05