Rn. 101
Stand: EL 177 – ET: 12/2024
Im Falle doppel- und mehrstöckiger PersGes (ausführlich s § 15 Rn 73, 78, 92, 111bff (Bitz)) stellt sich die Frage, auf welcher Ebene und in welchem Verhältnis die Regelungen zur Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG anzuwenden sind. Hier besteht gewisser Interpretationsspielraum, der die FinVerw und die Fachwelt in drei Lager aufteilt, die die nachfolgende Handhabung vertreten:
Die sog konsolidierte Einheitsbetrachtung von Ober- und Untergesellschaften stellt auf das Verhältnis des Mitunternehmers zur Obergesellschaft ab. Mit anderen Worten wird bei doppel- und mehrstöckigen PersGes für den Mitunternehmer der Ober-PersGes nur ein einheitlicher begünstigter Gewinn ermittelt, der neben dem Gewinn aus der Ober-PersGes einschließlich der Ergebnisse aus Ergänzungs- und Sonderbilanzen auch die Ergebnisse aus Sonderbilanzen gem § 15 Abs 1 S 1 Nr 1 S 2 EStG bei der Unter-PersGes umfasst. Etwaige Entnahmen des Mitunternehmers der Ober-PersGes werden mit den Entnahmen aus dem Sonder-BV der Unter-PersGes gem § 15 Abs 1 S 1 Nr 2 S 2 EStG addiert, was analog für Einlagen gilt. Zahlungen zwischen der Ober- und der Unter-PersGes haben hingegen keinen Einfluss auf das Begünstigungsvolumen.
Diese Auffassung vertritt die FinVerw im Schreiben des BMF v 11.08.2008, BStBl I 2008, 838 Rz 21. Dem folgen auch diverse Autoren (vgl Gragert/Wissborn, NWB 2008, 3995, 3999; Reddig in Kirchhof/Seer, § 34a EStG Rz 57, 57a (23. Aufl 2024); Harle/Geiger, StBp 2009, 1, 5; Bäuml/Müller in Kanzler/Kraft/Bäuml, § 34a EStG Rz 163 ff, 9. Aufl 2024.
- Die sog getrennte Einzelbetrachtung von Ober- und Unter-PersGes stellt auf eine getrennte Betrachtung jeder einzelnen Beteiligungsebene ab. Dem Mitunternehmer der Ober-PersGes wären demnach mehrere Mitunternehmeranteile (je Beteiligungsebene) inklusive der jeweiligen Ergänzungs- und Sonderbilanzen zuzurechnen, mit der Folge, dass für jede Beteiligungsebene ein gesonderter Antrag zu stellen wäre (diese Auffassung vertreten ua Wacker in Schmidt, § 34a EStG Rz 22 (42. Aufl 2023); Söffing/Worgulla, NWB 2009, 916, 918).
- Die sog modifizierte Einheitsbetrachtung von Ober- und Unter-PersGes stellt auf das Verhältnis des Mitunternehmers zur Ober- und Unter-PersGes ab, mit der Einschränkung, dass dem Mitunternehmer der Ober-PersGes hinsichtlich des Sonder-BV bei der Unter-PersGes ein separater (Sonder-)Mitunternehmeranteil zuzuweisen sei (vgl Niehus/Wilke in H/H/R, § 34a EStG Rz 44 (08/2023); Bäumer, DStR 2007, 2089, 2091; Ley, KÖSDI 2007, 15 737, 15 750; Ley/Brandenburg, FR 2007, 1085, 1089; Wendt, Stbg 2009, 1, 8, Grützner, StuB 2008, 745, 750; Ley/Bodden in Korn, § 34a Rz 46 (10/2017).
Rn. 102
Stand: EL 177 – ET: 12/2024
Nach Auswertung der Literatur zu den drei wesentlichen Stoßrichtungen, sind die beiden größten Lager wohl die Vertreter der konsolidierten Einheitsbetrachtung (und damit in Einklang mit der Auffassung der FinVerw) und die Vertreter der modifizierten Einheitsbetrachtung (wohl herrschende Meinung in der Literatur).
Vereinfachtes Beispiel zu Ermittlung des nicht entnommenen Gewinns bei mehrstöckigen PersGes unter Berücksichtigung der beiden Betrachtungsweisen:
Hierzu auch s BMF v 11.08.2008, BStBl I 2008, 838 Rz 21 und Vorauflage Rn 80.
Sachverhalt: A und B sind zu je 50 % an X-KG (Obergesellschaft) beteiligt, X-KG wiederum ist zu 100 % an Y-OHG (Untergesellschaft) beteiligt. A vermietet Grundstück an Y-OHG.
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Konsolidierte Einheitsbetrachtung (BMF v 11.08.2008) |
Modifizierte Einheitsbetrachtung (hM Literatur) |
Ermittlung nicht entnommener Gewinn für A |
EUR |
EUR |
EUR |
Gewinnanteil gem § 4 Abs 1 EStG (an X-KG inklusive Gewinnanteil Y-OHG) |
40 000 |
40 000 |
|
Sondergewinnanteil aus Immobilienvermietung an Y-OHG |
5 000 |
|
5 000 |
Entnahme aus Sonder-BV des A bei Y-OHG in Höhe der Miete |
./. 20 000 |
|
./. 20 000 |
Entnahme aus X-KG |
./. 15 000 |
./. 15 000 |
|
Nicht entnommener Gewinn |
10 000 |
25 000 |
./. 15 000 |
Rn. 103
Stand: EL 177 – ET: 12/2024
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die unterschiedlichen Ansätze zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen bei der Ermittlung des nicht entnommenen Gewinns führen können, enthält der § 34a EStG keine eigenständige Definition der Mitunternehmerstellung insb in Konstellationen doppel- und mehrstöckiger PersGes, sodass auf die Steuersystematik unter Rückgriff auf die in der Literatur und Rspr entwickelten Grundsätze zur Mitunternehmerstellung im Falle doppel- und mehrstöckiger PersGes zurückgegriffen werden muss.
Obwohl durchaus gute Argumente für die herrschende Meinung in der Literatur zur Anwendung der modifizierten Einheitsbetrachtung existieren, ist mE gleichwohl der konsolidierten Einheitsbetrachtung – und damit der Verwaltungsauffassung – der Vorzug zu geben, da eine einheitliche Betrachtungsweise unter Praktikabilitätsgesichtspunkten erwogen werden sollte und andererseits aufgrund der umfassenden Konsolidierungsmöglichkeiten der Gesamthands-, Ergänzungs- und Sonderbereiche über mehrere Ebenen hinweg weitere Gestaltungsspielräume eröffne...