Dr. Barbara Zuber, Stefan Ditsch
1. Sachlicher Anwendungsbereich
Rn. 30
Stand: EL 165 – ET: 06/2023
§ 50c Abs 2 S 1 Nr 1 EStG bildet die Rechtsgrundlage für ein Freistellungsverfahren aufgrund amtlicher Bescheinigung. Es findet grundsätzlich Anwendung für Entlastungen gemäß der §§ 43b, 50g EStG sowie gemäß der Vorschriften eines DBA. § 50c Abs 2 S 5 EStG knüpft das Freistellungsverfahren für die abkommensrechtliche Entlastung von KapErtr bei Konzernbeteiligungen darüber hinaus an weitere Voraussetzungen. Eine Freistellung im Abzugsverfahren aufgrund amtlicher Bescheinigung ist danach für folgende Fälle möglich:
(1) |
KapErtr iSd § 20 Abs 1 Nr 1 EStG (offene und vGA) an eine Muttergesellschaft im EU-Ausland, die die Voraussetzungen des § 43b EStG erfüllt (dh 10 % unmittelbare Mindestbeteiligung, mindestens 12-monatiger Beteiligungsbesitz). Als unmittelbar gilt auch eine Beteiligung, die über eine nicht gewerblich geprägte vermögensverwaltende PersG gehalten wird (BFH vom 18.05.2021, I R 77/17, BStBl II 2022, 114). |
(2) |
Vergütungen iSd § 50a Abs 1 EStG; dies sind insbesondere Lizenzzahlungen und Vergütungen für inländische Tätigkeiten von Künstlern, Sportlern und Journalisten. |
(3) |
Zinsen und Lizenzgebühren iSd § 50g EStG. |
(4) |
KapErtr, die von einer unbeschränkt stpfl KapGes iSd § 1 Abs 1 Nr 1 KStG an eine in einem DBA-Staat ansässige KapGes im Nicht-EU-Ausland geleistet werden und die nach einem DBA einem ermäßigtem oder keinem Steuerabzug unterliegen. Hierbei handelt es sich um einen in § 50c Abs 2 S 5 EStG (zuvor § 50d Abs 2 S 1 Hs 2 EStG aF) geregelten Auffangtatbestand, der aus Gleichbehandlungsgründen und zur Wahrung der Verfahrenseinheit ins Gesetz aufgenommen wurde (BT-Drs 12/1108, 64). Voraussetzungen sind eine unmittelbare Mindestbeteiligung von 10 % und dass die empfangende ausländische KapGes im Staat ihrer Ansässigkeit den Steuern vom Einkommen oder Gewinn unterliegt, ohne davon befreit zu sein. Einige im EU-Bereich durch § 43b EStG vorgesehene Bedingungen gelten hier nicht: zB keine Mindestbesitzzeit, keine Beschränkung auf KapErtr iSd § 20 Abs 1 Nr 1 EStG. |
Da sich die abkommensrechtliche Einordnung der KapErtr als ermäßigt zu besteuernde Dividenden iSd Art 10 OECD-MA regelmäßig nach dem Recht des Anwendestaates (dh Deutschland) richtet, gilt das Freistellungsverfahren auch für Liquidationsraten, die gemäß § 17 Abs 4 S 3 EStG als KapErtr zu behandeln sind.
Rn. 31
Stand: EL 165 – ET: 06/2023
Im Hinblick auf den Steuerabzug nach § 50a EStG setzt die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung nicht voraus, dass die Einkünfte dem Steuerabzug nach § 50a Abs 1 EStG unterliegen (anders noch § 50d Abs 2 S 1 Hs 1 EStG aF). In Fällen, in denen eine Steuerabzugsverpflichtung zweifelhaft ist, aber ein deutsches Besteuerungsrecht zweifelsfrei nicht besteht, kann somit durch Erteilung einer Freistellungsbescheinigung eine Besteuerung vermieden werden, ohne dass zuvor das Vorliegen einer Abzugsverpflichtung geklärt wird; es genügt, dass § 50g EStG oder ein DBA der Besteuerung entgegenstehen (BT-Drs 19/27632, 50).
2. Verfahren der Freistellung
Rn. 32
Stand: EL 165 – ET: 06/2023
Gemäß § 50c Abs 2 S 1 Nr 1 EStG wird die Freistellung im Abzugsverfahren nur auf Antrag vom BZSt gewährt; antragsberechtigt aus eigenem Recht ist nur der Vergütungsgläubiger, dh entweder der zivilrechtliche Vertragspartner oder der wirtschaftliche Eigentümer nach § 39, 42 AO als steuerliches Zurechnungssubjekt (BFH vom 18.05.2021, I R 77/17, BStBl II 2022, 114). Dieser kann jedoch dem inländischen Vergütungsschuldner Vollmacht erteilen (zu § 50d EStG aF FG Köln vom 24.02.2000, EFG 2000, 1189). Zuständig ist ausschließlich das BZSt (5 Abs 1 S 1 Nr 2 FVG).
Das FA kann eine Freistellung im Abzugsverfahren nicht gewähren, dies gilt auch bei einer analogen Anwendung des § 50c Abs 3 EStG für die Erstattung von Abzugsteuern außerhalb der in § 50c EStG geregelten Fälle (hierzu s Rn 56; zu § 50d Abs 2 EStG aF BFH vom 04.03.2009, BStBl II 2009, 625 mwN; Gosch in Kirchhof, § 50c EStG Rz 16, 21. Aufl 2022).
Rn. 33
Stand: EL 165 – ET: 06/2023
Die Freistellung im Abzugsverfahren ist ausschließlich zukunftsbezogen, sie gilt frühestens ab dem Tag, an dem der Antrag beim BZSt eingeht (§ 50c Abs 2 S 4 EStG). Sind nach der Antragstellung KapErtr oder Vergütungen zugeflossen, ist der Vergütungsschuldner zum Steuerabzug verpflichtet, auch wenn die Freistellungsbescheinigung danach noch rückwirkend ab Antragstellung erteilt wird. § 50c Abs 2 S 3 Hs 2 EStG ermöglicht in diesen Fällen die Erstattung der zuviel einbehaltenen Steuer durch eine (nachträgliche) Änderung der Steueranmeldung auf Grundlage von § 168 iVm § 164 Abs 2 AO; die Erteilung einer nachträglichen Freistellungsbescheinigung stellt kein rückwirkendes Ereignis iSd § 175 AO dar (Buciek, IStR 2001, 102; Gosch in Kirchhof, § 50c EStG Rz 16, 21. Aufl 2022).
Sind die Voraussetzungen des § 50c Abs 2 S 3 Hs 2 EStG erfüllt, hat die Änderung der Steueranmeldung vorrangig zu erfolgen (Frotscher in Frotscher/Geurts, § 50c EStG Rz 31, November 2021). Außerhalb des § 50c Abs 2 S 3 Hs 2 EStG bleibt nur der Weg des Ers...