Rn. 476
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Der Weg zur ersten Tätigkeitsstätte muss nach dem Gesetzeswortlaut des § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG nach wie vor an der Wohnung des ArbN beginnen, was auch schon vor Einführung der Entfernungspauschale galt; insofern kann auch auf ältere Literatur und Rspr zum Wohnungsbegriff zurückgegriffen werden.
a) Begriff der Wohnung
Rn. 477
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Das Tatbestandsmerkmal der Wohnung in § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG ist weit auszulegen. Wohnung kann jede irgendwie geartete Unterkunft sein, die von einem ArbN regelmäßig zur Übernachtung genutzt wird und von der aus er seine erste Tätigkeitsstätte aufsucht (BFH v 25.03.1988, VI R 207/84, BStBl II 1988, 706; R 9.10 Abs 1 S 1 LStR 2015).
Rn. 478
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Wohnung kann deshalb auch
- ein möbliertes Zimmer (BFH v 04.08.1967, VI R 261/66, BStBl III 1967, 727),
- eine Schiffskajüte,
- ein Zimmer in einer Kaserne (FG Münster v 27.09.1967, Va 87/64, EFG 1968, 165),
- ein Schrebergartenhaus (BFH v 10.11.1978, VI R 127/76, BStBl II 1979, 335),
- ein auf gewisse Dauer abgestellter Wohnwagen oder
- eine Massenunterkunft sein (BFH v 20.12.1982, VI R 64/81, BStBl II 1983, 306 unter II.2.b.aa.; R 9.10 Abs 1 S 2 LStR 2015).
Rn. 479
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Es kommt nicht darauf an, ob der ArbN regelmäßig von dieser Wohnung zu seiner ersten Tätigkeitsstätte fährt (BFH v 10.11.1978, VI R 21/76, BStBl II 1979, 219; BFH v 20.12.1982, VI R 64/81, BStBl II 1983, 306). Auch wenn der ArbN üblicherweise von seiner Familienwohnung aus zur Arbeit fährt und nur gelegentlich bei frühem Dienstbeginn oder schlechten Witterungsverhältnissen in seiner in der Nähe der ersten Tätigkeitsstätte gelegenen Wohnung übernachtet, sind WK zu berücksichtigen.
Rn. 480
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Erforderlich ist aber, dass der ArbN den Weg zur ersten Tätigkeitsstätte von seiner eigenen Wohnung aus zurücklegt (BFH v 25.03.1988, VI R 207/84, BStBl II 1988, 706; BFH v 26.08.1988, VI R 92/85, BStBl II 1989, 144). Übernachtet der StPfl beispielsweise in der Wohnung seiner Freundin oder besuchsweise bei Bekannten, so fallen die Fahrtkosten nicht unter § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG und sind als privat veranlasst steuerlich nicht zu berücksichtigen. Eine Ausnahme ist zu machen, wenn etwa die Wohnung wegen Renovierungsarbeiten nicht benutzbar ist und der StPfl deshalb kurzfristig bei Freunden Quartier nimmt (BFH v 26.08.1988, VI R 92/85, BStBl II 1989, 144).
Im Übrigen muss sorgfältig geprüft werden, ob die Wohnung, von der aus der ArbN den Weg zur ersten Tätigkeitsstätte angetreten hat, nicht doch als eigene anzusehen ist. Das kann der Fall sein, wenn zwar sein Lebenspartner die Wohnung angemietet hat, er aber seit längerer Zeit ständig dort lebt und übernachtet. In diesem Fall ist die Wohnung als gemeinschaftliche anzusehen. Indiz dafür, dass es sich um eine gemeinschaftliche Wohnung handelt, kann sein, dass der StPfl die Wohnung mit eigenem Mobiliar ausgestattet hat und er dort (auch) polizeilich gemeldet ist (BFH v 26.08.1988, VI R 92/85, BStBl II 1989, 144).
Rn. 481
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Wege von einem außerhalb der Wohnung gelegenen Arbeitszimmer zur ersten Tätigkeitsstätte fallen nicht unter § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG und können nach Dienstreisegrundsätzen berücksichtigt werden (FG BdW v 26.02.1988, IX K 111/86, EFG 1988, 410); anders, wenn der StPfl den Weg von einem im Haus befindlichen Arbeitszimmer aus antritt.
Rn. 482–484
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vorläufig frei
b) Mehrere Wohnungen
Rn. 485
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Unterhält der StPfl mehrere Wohnungen, so können die Fahrten von der der ersten Tätigkeitsstätte nächstgelegenen Wohnung immer als WK abgesetzt werden, ob sie nun den Lebensmittelpunkt bildet oder nicht. Fahrtkosten von einer weiter entfernt liegenden Wohnung können nach § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 S 6 EStG hingegen nur berücksichtigt werden, wenn diese Wohnung den Mittelpunkt der Lebensinteressen bildet und nicht nur gelegentlich aufgesucht wird.
Rn. 486
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In vielen Fällen, in denen der StPfl mehrere Wohnungen unterhält, wird zumindest zu prüfen sein, ob nicht auch der Tatbestand einer doppelten Haushaltsführung (§ 9 Abs 1 S 3 Nr 5 EStG, s Rn 660 ff) vorliegt. Sind deren Voraussetzungen gegeben und macht der StPfl Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung geltend, können Fahrtkosten von der weiter entfernt liegenden Lebensmittelpunktswohnung nur im Rahmen von Familienheimfahrten, dh eine Fahrt pro Woche, abgezogen werden, weil § 9 Abs 1 S 3 Nr 5 EStG gegenüber § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG insoweit als lex specialis vorrangig ist. Die Frage, ob die weiter entfernt liegende Wohnung den Lebensmittelpunkt bildet, stellt sich dann nicht iRd Nr 4, sondern der Nr 5.
Rn. 487
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Dem ArbN wird aber von R 9.11 Abs 5 S 2 LStR 2015 ein Wahlrecht eingeräumt, an Stelle der Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung sämtliche Fahrtkosten nach § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG abzurechnen, was dann für ihn günstiger sein kann, wenn er die entfernter liegende Heimatwohnung mehrfach in der...