Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestandsstreitigkeit. Drohung mit einer Strafeanzeige. außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung. vorherige Abmahnung des Arbeitnehmers aufgrund Umstände des Einzelfalls
Leitsatz (amtlich)
Schon die bloße Drohung des Arbeitsnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, eine Strafanzeige zu erstatten, kann einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung i. S. d. § 626 I BGB darstellen. In diesem Fall ist jedoch zunächst zu prüfen, ob u. U. eine Abmahnung des Arbeitnehmers ausreichend gewesen wäre.
Orientierungssatz
Drohung mit einer Strafanzeige, Kündigungsgrund für eine außerordentliche bzw. hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung? Hier zuerst Abmahnung erforderlich aufgrund der Umstände des Einzelfalles
Normenkette
KSchG § 626 Abs. 2, § 1 II
Verfahrensgang
ArbG Leipzig (Urteil vom 04.02.2010; Aktenzeichen 14 Ca 2188/09) |
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 04.02.2010 – 14 Ca 2188/09 – wird auf Kosten des Beklagten
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer von dem Beklagten erklärten außerordentlichen Kündigung vom 30.04.2009 und eine hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 23.10.2009.
Die am …1977 geborene, ledige, kinderlose und schwerbehinderte (GdB 70 %) Klägerin ist bei dem Beklagten und dort an der … – zunächst befristet – und seit 01.09.2005 unbefristet als Sachbearbeiterin bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt 2.126,65 EUR beschäftigt.
Gemäß Arbeitsvertrag vom 10.04.2006 (Bl. 6/7 d. A.) war die Klägerin als vollbeschäftigte Arbeitnehmerin in die Vergütungsgruppe VI b der Anlage 1 a zum BAT-O eingruppiert.
Am 31.03.2009 wurde mit der Klägerin wegen Beschwerden ihrer unmittelbaren Vorgesetzten, betreffend die Arbeitsleistung und das Verhalten der Klägerin, ein Personalgespräch geführt. An dem Personalgespräch nahmen der Personaldezernent und Stellvertreter des Kanzlers, Herr Dr. …, die Gleichstellungsbeauftragte und unmittelbare Vorgesetzte der Klägerin, Frau Dr. …, der Sachgebietsleiter im Personaldezernat Herr Dr. …, die Schwerbehindertenvertrauensperson Herr Dr. … sowie als Vertrauenspersonen der Klägerin die Personalrätin Frau Dr. … und Frau … von der Gewerkschaft …, teil. In dem Gespräch fielen Äußerungen der Klägerin hinsichtlich des Verhaltens ihrer Vorgesetzten Frau Dr. …. Diese Äußerungen führten dazu, dass der Beklagte von einer nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen der Klägerin und ihrem Arbeitgeber ausging.
Daraufhin kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 30.04.2009 außerordentlich mit sofortiger Wirkung (Bl. 5 d. A.). Die Kündigung wurde damit begründet, dass die Klägerin in einem Gespräch am 31. März 2009 im Personaldezernat ihre Vorgesetzte in beleidigender und verleumderischer Weise einer ihr gegenüber begangenen Freiheitsberaubung und Tätlichkeit, also erheblicher Straftaten, bezichtigt habe.
Der außerordentlichen Kündigung waren zwei Abmahnungen des Beklagten vom 13.10.2006, der Klägerin zugegangen am gleichen Tag, bezüglich dessen Inhaltes auf Bl. 32/33 d. A. verwiesen wird, vorausgegangen.
Mit weiterem Schreiben vom 23.10.2009, der Klägerin zugegangen am gleichen Tag, sprach der Beklagte wegen des gleichen Vorfalls vom 31.03.2009 hilfsweise die ordentliche Kündigung der Klägerin zum 31.12.2009 aus (Bl. 36 d. A.).
Zuvor war der Personalrat mit Schreiben vom 08.04.2009 (Bl. 17/18 d. A.) zur außerordentlichen Kündigung und mit Schreiben vom 23.06.2009 (Bl. 65/66 d. A.) zur hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung der Klägerin angehört worden. Während der Personalrat hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung Bedenken erhob (Bl. 19 d. A.), die seitens des Beklagten jedoch ausgeräumt werden konnten, erhob er bezüglich der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung keine Bedenken (Bl. 168 d. A.).
Die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats hinsichtlich der Kündigungen vom 08.04.2009 und vom 23.06.2009 wird seitens der Klägerin bestritten.
Vor Ausspruch beider Kündigungen wurde seitens des Beklagten beim Kommunalen Sozialverband Sachsen mit Schreiben vom 08.04.2009 Antrag auf Zustimmung zur fristlosen Kündigung der Klägerin (Bl. 24/25 d. A.) gemäß § 91 SGB IX und mit Schreiben vom 23.06.2009 Antrag auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung der Klägerin gemäß § 85 SGB IX gestellt.
Das Integrationsamt hat mit Schreiben vom 28.04.2009 (Bl. 26 bis 31 d. A.) die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Klägerin erteilt. Das hiergegen von der Klägerin angestrengte Widerspruchsverfahren blieb erfolglos, ein diesbezügliches Klageverfahren ist anhängig.
Mit Schreiben vom 08.10.2009 (Bl. 54 bis 62 d. A.) hat das Integrationsamt die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung der Klägerin erteilt. Diese wurde auf Widerspruch der Klägerin hin mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2010 aufgehoben (Bl. 236 bis 242 d. A.). Auch...