Prof. Dr. Volker Wahrendorf
Rz. 24
Der Absatz ergänzt den Sicherstellungsauftrag des Abs. 1. Der Sicherstellungsauftrag umfasst auch die angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der fachärztlichen Versorgung (Satz 1). Im Ansatz war diese Regelung bereits in § 75 Abs. 1 Satz 2 und 4 i. d. F. des GKV-VStG enthalten, ohne dass diese Regelung praktische Bedeutung erlangt hätte (Rademacker, in: BeckOGK, SGB V, § 75 Rz. 19). Angemessen und zeitnah sind zwei unbestimmte Rechtsbegriffe. "Zeitnah" bekommt schon dadurch Konturen, dass nach Satz 3 Nr. 1 die Terminservicestelle bei Vorliegen einer Überweisung zu einem Facharzt innerhalb einer Woche einen Behandlungstermin bei einem Leistungserbringer nach § 95 Abs. 1 Satz 1 zu vermitteln haben. Die Wartezeit auf den zu vermittelnden Behandlungstermin darf 4 Wochen nicht überschreiten (Satz 5). Zur Angemessenheit gehört auch, dass die Entfernung zumutbar sein muss. Die dazu möglichen Ermittlungsoptionen bleiben in der Gesetzesfassung offen. Übertragbare Anhaltspunkte könnte die Rechtsprechung zur Bedarfsprüfung bei der Versorgung durch Hausärzte sein, bei denen nicht mehr als 25 km Wegstrecke als angemessen angesehen worden ist (BSG, Urteil v. 17.3.2021, B 6 KA 2/20 R) und bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel die Erreichbarkeit einzubeziehen ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 4.3.2020, L 11 KA 75/18). Stattdessen konkretisiert § 6 Abs. 1 der Anlage 28 zu BMV-Ä die zumutbare Entfernung dahin, dass die Festlegung über den Zeitbedarf für das Aufsuchen des von der Terminservicestelle vermittelten Arztes bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wie folgt festgelegt wird:
- Arztgruppen der hausärztlichen und allgemeinen fachärztlichen Versorgung allgemeinen fachärztlichen Versorgung: erforderliche Zeit für das Aufsuchen des nächsten geeigneten Facharztes der jeweiligen Arztgruppe plus maximal 30 Minuten.
- Arztgruppen der spezialisierten und gesonderten fachärztlichen Versorgung: erforderliche Zeit für das Aufsuchen des nächsten erreichbaren geeigneten Facharztes plus maximal 60 Minuten.
Die KV kann die Zeitvorgaben auch durch Kilometerangaben ersetzen (§ 6 Abs. 2 der Anlage 28 zu BMV-Ä).
Nach Abs. 1a Satz 14 werden Ausnahmen in Fällen des § 28 Abs. 3 bei der Ermittlung eines Erstgesprächs im Rahmen einer psychotherapeutischen Beratung gemacht.
Rz. 25
Die Terminservicestelle muss bei der Beurteilung der Zumutbarkeit für den Versicherten auch die Besonderheiten der Patientengruppen, die besonderen örtlichen Verhältnisse im Planungsbereich des Bedarfsplans für die vertragsärztliche Versorgung (vgl. § 99) sowie die Anbindung zu öffentlichen Verkehrsmitteln berücksichtigen. Zu den Besonderheiten der Patientengruppen zählen Alter, Schwere der Erkrankung oder Behinderung (z. B. barrierefreier Zugang), soweit sie die Kriterien der zumutbaren Entfernung beeinflussen. Die örtlichen Verhältnisse im Planungsbereich beziehen sich konkret auf den Planungsbereich, in dem die Wohnung oder der Aufenthaltsort des Versicherten liegt. Wenn der Versicherte kein Fahrzeug benutzen kann, stellt sich z. B. die Frage, ob für ihn ein öffentliches Verkehrsmittel schnell oder nur nach einem längeren Fußweg erreichbar ist.
Rz. 26
Die KVen sind nach Abs. 1a Satz 2 mit Wirkung zum 11.5.2019 einerseits verpflichtet worden, die Versicherten im Internet in geeigneter Weise bundesweit einheitlich über die Sprechstundenzeiten der Vertragsärzte und über die Zugangsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung zur Versorgung (Barrierefreiheit) zu informieren. Hierdurch sollen sich die Versicherten im Bedarfsfall einfacher darüber informieren können, zu welchen Zeiten nächstgelegene Ärztinnen und Ärzte Sprechstunden (auch offene Sprechstunden) anbieten. Die sich aus § 17 BMV-Ä für die vertragsärztlichen Leistungserbringer verpflichtenden Vorgaben zur Abhaltung von Sprechstunden entsprechend dem Bedürfnis nach einer ausreichenden und zweckmäßigen vertragsärztlichen Versorgung gelten aber weiter (z. B. Bekanntgabe der Sprechstundenzeiten auf dem Praxisschild und namentliche Anzeige der Urlaubsvertretungen) bzw. bedürfen ggf. einer Anpassung an die TSVG-Vorgaben.
Rz. 27
Da zum Sicherstellungsauftrag der KVen auch die vertragsärztliche Versorgung von Menschen mit Behinderungen gehört, deren besonderen Belangen nach § 2 a SGB V generell Rechnung zu tragen ist, war die Informationspflicht der KVen durch Beschluss des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss des Bundestages) dahingehend erweitert worden, die Versicherten auch über die Möglichkeiten des Zugangs von Menschen mit Behinderungen zur vertragsärztlichen Versorgung (Barrierefreiheit) zu informieren. Dazu gehört z. B., ob die Arztpraxis über einen behindertengerechten Aufzug oder einen barrierefreien Zugang verfügt.
Rz. 28
Die KBV soll nach Abs. 1a Satz 16 ein elektronisches Programm zur Verfügung zu stellen, mit dem die Versicherten auf die Internetseite der zuständigen KV geleitet werden, um sich über die Sprechstundenzeiten der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte zu informieren.
R...