Rz. 25

[Autor/Stand] Man könnte durchaus erwägen, die Aufforderung zur Abgabe der Feststellungserklärungen auch an jeden Steuerschuldner persönlich zu richten. Lediglich in Fällen der Bedarfsbewertung nicht börsennotierter Anteile ist dies gesetzlich ausgeschlossen (§ 153 Abs. 3 BewG). Eine solche Handhabung ist, obwohl nach § 153 Abs. 1 Satz 1 BewG erlaubt, in der Praxis jedoch nicht vorgesehen.[2] Die Finanzverwaltung sollte sorgfältig prüfen, ob sie nicht mit einer Auswahl zwischen in Frage kommenden Steuerschuldnern die jeweils nicht aufgeforderte Person in der Wahrnehmung ihres Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG unzulässig einschränkt, weshalb bereits die Auswahlentscheidung von vornherein ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig sein könnte (s. auch § 153 BewG Anm. 95).[3] Dass dies von § 154 Abs. 1 Nr. 3 Sätze 2, 3 BewG (a.F.) speziell für schenkungsteuerlich relevante Bedarfsbewertungen auf Bewertungsstichtage nach dem 30.6.2011 und vor dem 1.1.2016 ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben war, ist verfassungsrechtlich nicht unbedenklich. Diese Regelungen gelten inzwischen nicht mehr (§§ 154 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BewG n.F.).

 

Rz. 26

[Autor/Stand] Für Bewertungsstichtage nach dem 31.12.2015 kommt es in einschlägigen Fällen nunmehr gesonderter und einheitlicher Feststellungen zur Bekanntgabe der Feststellungsbescheide auch gegenüber dem/n Steuerschulder/n (§ 154 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 i.V.m. § 205 Abs. 9 BewG[5]). Die detaillierten Anwendungsweisungen der Finanzverwaltung[6] orientieren sich allerdings zumindest teilweise an § 154 Abs. 1 Nr. 3 BewG a.F. und müssen den Praxistest noch bestehen. Für frühere Bewertungsstichtage folgt die Notwendigkeit der Bekanntgabe auch gegenüber dem/n Steuerschuldner/n aus dem Wortlaut des § 154 Abs. 2 BewG, tatbestandsübergreifend in allen Fällen der Bedarfsbewertung (s. § 154 BewG Anm. 37, 41.).[7] Er/sie wird/werden damit zusätzlich als Inhaltsadressat/en Verfahrensbeteiligte/r nach § 78 Nr. 2 AO (s. § 154 BewG Anm. 27) und wäre/n jedenfalls beschwert i.S. des § 350 AO bzw. § 40 Abs. 2 FGO.[8]

 

Rz. 27

[Autor/Stand] Jedem Steuerschuldner steht ein Rechtsanspruch auf Bekanntgabe ihn betreffender Bedarfswertbescheide zu, den er notfalls finanzgerichtlich geltend machen kann (§ 40 Abs. 2 FGO). Ein anhängiges Rechtsbehelfsverfahren gegen einen Erbschaft- und/oder Schenkungsteuerbescheid ist daher auszusetzen, wenn es dem Stpfl. mangels ihm gegenüber erfolgter Bekanntgabe eines Feststellungsbescheids nicht möglich war, Einwände gegen die Höhe der Steuerfestsetzung im Grundlagenbescheidsverfahren zu erheben.[10] Wird allerdings Schenkungsteuer gegen den Erwerber oder den Schenker festgesetzt, kann er einen insoweit relevanten Bedarfswertbescheid, der nur dem anderen Gesamtschuldner bekannt gegeben wurde, auch unmittelbar und grundsätzlich ohne zeitliche Einschränkung per Einspruch anfechten; dies folge, so der BFH, aus der grundrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.[11] Die Finanzverwaltung will es jedoch offenbar hierzu erst gar nicht kommen lassen. Sie schreibt in solchen Fällen ausdrücklich die nachträgliche Bekanntgabe vor.[12]

 

Rz. 28

[Autor/Stand] Konsequent gilt dies auch hinsichtlich aller Feststellungsbescheide innerhalb einer Bedarfsbewertungskette ("Jeder Beteiligte erhält einen Bescheid"[14]). Ist z.B. ein Anteil an einer Personengesellschaft zu bewerten, die an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft beteiligt ist, zu deren Vermögen Grundbesitz gehört (mehrstufige Wertermittlung), hat der Steuerschuldner Anspruch auf Bekanntgabe sämtlicher Feststellungsbescheide[15] bzw. – jedenfalls in Schenkungsteuersachen – ein unmittelbares Einspruchsrecht (s. Anm. 27). Nur dann ist sichergestellt, dass er seine Rechte gegen eine Bewertung, die sich auf seine Besteuerung auswirkt, wenn nicht schon im Verfahren der Bedarfsbewertung, so doch jedenfalls in einem entsprechenden Rechtsbehelfsverfahren wahrnehmen kann.

[Autor/Stand] Autor: Hartmann, Stand: 01.01.2017
[2] R B 153 Abs. 1 ErbStR 2011.
[3] So BFH v. 6.7.2011 – II R 44/10, BStBl. II 2012, 5 = ErbStB 2011, 305 m. Komm. Hartmann.
[Autor/Stand] Autor: Hartmann, Stand: 01.01.2017
[5] I.d.F. des StÄndG v. 2.11.2015, BGBl. I 2015, 1834.
[6] Ländererlasse v. 14.3.2016, BStBl. I 2016, 249.
[7] BFH v. 6.7.2011 – II R 44/10, BStBl. II 2012, 5 = ErbStB 2011, 305 m. Komm. Hartmann.
[8] Seer in Tipke/Kruse, § 350 AO Rz. 9, § 40 FGO Rz. 42.
[Autor/Stand] Autor: Hartmann, Stand: 01.01.2017
[10] Vgl. BFH v. 30.10.2009 – II B 95/09, BFH/NV 2010, 236; zu unterlassener Bedarfsbewertung für Grunderwerbsteuerzwecke BFH v. 25.9.2013 – II R 2/12, BStBl. II 2014, 329.
[11] BFH v. 6.7.2011 – II R 44/10, BStBl. II 2012, 5 = ErbStB 2011, 305 m. Komm. Hartmann; Ländererlasse v. 14.3.2016, Tz. 1 letzter Satz, BStBl. I 2016, 249; ebenso Halaczinsky in Rössler/Troll, § 155 BewG Rz. 7 (m.w.N.); s. auch Steinhauff, AO-StB 2011, 294.
[12] Leitfaden zum Feststellungsverfahren nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG, Tz. 2 und 2.1...

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