Begriff des Grundstücks beim Erwerb eines Familienheims
Hintergrund: Erwerb einer Eigentumswohnung mit angrenzendem Grundstück
A ist Alleinerbin der verstorbenen Erblasserin (E), ihrer Mutter. E hatte bis zu ihrem Tod in einer Eigentumswohnung in einem Zweifamilienhaus gewohnt. A nutzte die Wohnung nach dem Tod der E zu eigenen Wohnzwecken. Das Haus stand auf dem Grundstück 1, das sich im hälftigen Miteigentum der E befand. Neben diesem Grundstück lag - unmittelbar angrenzend – das unbebaute Grundstück 2, dessen Alleineigentümerin die E gewesen war und das im Wege der Erbfolge ebenfalls auf die A überging.
In der ErbSt-Erklärung deklarierte die A den Erwerb der Grundstücke 1 und 2 mit einer Summe und machte die Steuerbefreiung für den Familienheimerwerb von Todes wegen durch Kinder (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG) in vollem Umfang dieses (erklärten) Grundstückswerts geltend. Das FA erließ im April 2015 einen insoweit antragsgemäßen ErbSt-Bescheid.
Das für die Bewertung des Grundbesitzes zuständige Belegenheits-FA stellte im September 2015 den Wert der beiden Grundstücke jeweils als eigene wirtschaftliche Einheiten fest.
Anschließend erließ das FA einen geänderten ErbSt-Bescheid mit dem es die Grundstücke 1 und 2 jeweils als Einzelflächen berücksichtigte und die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG nur noch für das Grundstück 1 gewährte.
Das FG wies die Klage mit der Begründung ab, nur das grundbuchmäßig erfasste Grundstück im Sinne des Zivilrechts, auf dem sich das Familienheim befinde, sei steuerbefreit.
Entscheidung: Steuerbegünstigung für das Grundstück 1
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Er ließ offen, ob der Begriff des Grundstücks zivilrechtlich oder bewertungsrechtlich zu verstehen ist. Denn in beiden Fällen steht A nur für das Grundstück 1 die Steuerbefreiung zu.
Verweis auf das BewG
§ 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG verweist auf § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG. Durch diesen Verweis werden von der Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG Ein- und Zweifamilienhäuser, Mietwohngrundstücke, Wohnungs- und Teileigentum, Geschäftsgrundstücke und gemischt genutzte Grundstücke erfasst. Eine nähere Bestimmung, in welchem Umfang der zu der Wohnung gehörende Grund und Boden an der Begünstigung teilhat, enthält die Vorschrift nicht. In Betracht kommt einerseits das Grundstück im zivilrechtlichen Sinn (ein vermessener, im Liegenschaftskataster bezeichneter Teil der Erdoberfläche; BGH v. 14.01.2005, V ZR 139/04, Deutsche Notar-Zeitschrift 2005, 670) oder andererseits die wirtschaftliche Einheit i.S. des § 2 Abs. 1 BewG.
- Für den zivilrechtlichen Begriff spricht die bürgerlich-rechtliche Prägung des Erbschaftsteuerrechts (BFH v. 26.11.1986, II R 190/81, BStBl II 1987, 175). Als (Rechts-) Verkehrsteuer knüpft die Erbschaftsteuer grundsätzlich an bürgerlich-rechtliche Vorgänge an.
- Andererseits verweist § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG auf das Bewertungsrecht, und zwar auf bebaute Grundstücke i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG und gerade nicht im Sinne des Zivilrechts (BGB).
Gesonderte Feststellung der Grundbesitzwerte
Nach § 12 Abs. 3 ErbStG i.V.m. § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 157 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BewG sind für Zwecke der ErbSt für die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens die Grundbesitzwerte gesondert festzustellen (§ 179 AO). Die Feststellungen treffen die zuständigen Belegenheits-FÄ (§ 152 Nr. 1 BewG). Ihnen obliegt neben der Wertfeststellung auch die verbindliche Feststellung über die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens (§ 157 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BewG). Diese Entscheidung kann nur durch Anfechtung des Wertfeststellungsbescheids angegriffen werden (§ 351 Abs. 2 AO, § 42 FGO).
Steuerbefreiung nur für das Grundstück 1
Hiervon ausgehend ist die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG nur für das Grundstück 1, auf dem sich das Familienheim befindet, zu gewähren. Es bedarf keiner Entscheidung, ob das Grundstück im Sinne des BGB oder des BewG zu verstehen ist. Denn:
- Ist nach zivilrechtlichen Maßstäben abzugrenzen, folgt dies aus der katastermäßigen Selbständigkeit des Grundstücks 1.
- Ist bewertungsrechtlich abzugrenzen, folgt dies aus den beiden getrennten Feststellungsbescheiden des Belegenheits-FA für die beiden Grundstücke, die auch hinsichtlich der Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit bindend sind.
Änderungsbefugnis des FA
Das FA war befugt, nach Ergehen der Feststellungsbescheide die ErbSt-Festsetzung abzuändern. Sollte das Grundstück zivilrechtlich abzugrenzen sein, ergibt sich die Änderungsbefugnis wegen neuer Tatsachen aus § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Erst durch die in den Feststellungsbescheiden enthaltenen Flurstücksbezeichnungen wurde für das FA erkennbar, dass zwei Grundstücke vorlagen. Sollte das Grundstück bewertungsrechtlich zu verstehen sein, folgt die Änderungsbefugnis aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 171 Abs. 10 AO. Denn die Feststellungsbescheide sind nicht nur hinsichtlich der Werte, sondern auch hinsichtlich des Umfangs der wirtschaftlichen Einheit bindende Grundlagenbescheide für die Erbschaftsteuerbescheide
Hinweis: Anfechtung des Feststellungsbescheids
Die Grundbesitzwerte werden nach § 151 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 157 BewG gesondert festgestellt. Der Feststellungsbescheid ist Grundlagenbescheid für die ErbSt-Festsetzung, und zwar auch hinsichtlich des Umfangs der wirtschaftlichen Einheit. Einwendungen gegen den Umfang der wirtschaftlichen Einheit können nur gegen den Feststellungsbescheid (Grundlagenbescheid), nicht gegen den ErbSt-Bescheid (Folgebescheid) vorgebracht werden.
BFH Urteil vom 23.02.2021 - II R 29/19 (veröffentlicht am 05.08.2021)
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