Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 40
Bei der ab 2009 geltenden steuerlichen Bewertung von Grundstücken wird in verstärktem Umfang auf die Veröffentlichungen der örtlichen Gutachterausschüsse abgestellt. Dies gilt auch bei der Bestimmung des Liegenschaftszinssatzes. Deshalb ist bei der steuerlichen Bewertung eine zwingende Auseinandersetzung mit den Veröffentlichungen des örtlichen Gutachterausschusses erforderlich.
Bei einer Analyse der veröffentlichten Daten wird häufig festzustellen sein, dass eine unterschiedliche Terminologie zwischen der Immobilienwertermittlungsverordnung und dem Bewertungsgesetz zu Schwierigkeiten bei der Ermittlung des maßgebenden Liegenschaftszinssatzes führen kann. Wie derartige Differenzen zu lösen sind, ist bislang in den gleich lautenden Erlassen der Finanzverwaltung nicht geregelt.
1. Abweichungen bei der Definition der Grundstücksart
Rz. 41
In der Praxis haben die Gutachterausschüsse bislang ganz überwiegend keine Notwendigkeit gesehen, sich an der Terminologie des Bewertungsgesetzes zu orientieren. Dies erscheint aus der Sicht der Immobilienwertermittlungsverordnung nicht geboten. Das führt dazu, dass der Gutachterausschuss Liegenschaftszinssätze auch für solche Grundstückstypen bildet, die mit der Definition der Grundstücksarten des Bewertungsgesetzes nicht übereinstimmen. In diesen Fällen muss entschieden werden, ob derartige Liegenschaftszinssätze des Gutachterausschusses bei der steuerlichen Bewertung herangezogen werden können.
a) Grundstücke mit ungleicher vertraglicher Nutzung
Rz. 42
Diese vorstehende Problematik kann leicht an Grundstücken verdeutlicht werden, die häufig im Innenstadtbereich errichtet worden sind und im Erdgeschoss über Ladengeschäfte und in den darüber liegenden Geschossen über Wohnungen verfügen.
Rz. 43
Beispiel
Im Innenstadtbereich befindet sich eine Immobilie mit einem Ladenlokal im Erdgeschoss. Das Ladenlokal wird wegen der guten Geschäftslage zu einer Miete von 2 250 EUR bei einer Nutzfläche von 90 m[2] vermietet. In den oberen Geschossen befinden sich mehrere Wohnungen, die jedoch nur zu einer relativ niedrigen Miete von insgesamt 2 000 EUR bei einer Wohnfläche von insgesamt 400 m[2] vermietet werden.
Rz. 44
Damit ergeben sich folgende Verhältnisse:
|
Wohnnutzung |
Gewerbliche Nutzung, Ladenlokal |
Fläche |
400 m[2] |
90 m[2] |
Verhältnis der Flächen |
81,63 % |
18,37 % |
Miete |
2 000 EUR |
2 250 EUR |
Verhältnis der Mieten |
47,06 % |
52,94 % |
Rz. 45
Nach der gesetzlichen Definition des § 181 Abs. 1 Nr. 1 Nr. 2 und Abs. 3 BewG gehört das zu bewertende Grundstück bei der steuerlichen Bewertung zwingend zu der Grundstücksart Mietwohngrundstück, weil bei der Bestimmung der Grundstücksart allein das Wohn-/Nutzflächenverhältnis maßgebend ist (vgl. § 181 Abs. 3 BewG). Da nach dem Verhältnis der Wohn-/Nutzflächen die Wohnnutzung über 80 % liegt, handelt es sich um ein Mietwohngrundstück.
Rz. 46
Dennoch kann der vom örtlichen Gutachterausschuss ausgewiesene Liegenschaftszinssatz für Mietwohngrundstücke in dem o.g. Beispielsfall regelmäßig nicht angewandt werden. Der örtliche Gutachterausschuss wird bei der Ermittlung des Liegenschaftszinssatzes im Allgemeinen den einzelnen Grundstückstypen einen Liegenschaftszinssatz entsprechend dem Verhältnis der Erträge für Wohn- bzw. Gewerbezwecke zuordnen. Somit wird der Gutachterausschuss bei dem oben genannten Grundstück davon ausgehen, dass der Liegenschaftszinssatz für ein gemischt genutztes Grundstück mit einer gewerblichen Nutzung von mehr als 50 % anzusetzen ist. Deshalb weist der Gutachterausschuss den Liegenschaftszinssatz für das zu bewertende Objekt dem Grundstückstyp "gemischt genutztes Grundstücke" zu. Damit wird deutlich, dass die im Bewertungsgesetz definierte Grundstücksart Mietwohngrundstück keineswegs zwingend mit den Begrifflichkeiten übereinstimmt, die von Gutachterausschuss verwandt werden.
Rz. 47
Bei dem oben genannten Beispiel liegt es auf der Hand, dass der "geeignete Liegenschaftszinssatz" des Gutachterausschusses iS des § 188 Abs. 2 Satz 2 BewG für das zu bewertende "Mietwohngrundstück iS des § 181 Abs. 3 BewG" zwar vorliegt und eindeutig feststeht, jedoch in der Veröffentlichung des Gutachterausschusses für den Grundstückstyp "gemischt genutztes Grundstück mit einer gewerblichen Nutzung von mehr als 50 %" abzulesen ist.
Rz. 48
Die rechnerische Plausibilität des "passenden" Liegenschaftszinssatzes des Gutachterausschusses erscheint unzweifelhaft. Die rechtliche Zulässigkeit ist mE ebenfalls nicht bedenklich, weil nach § 188 Abs. 2 Satz 2 BewG der "geeignete" Liegenschaftszinssatz des Gutachterausschusses zu Grunde gelegt werden muss. Aus diesem Grund erscheint es sogar zwingend, bei der Bewertung des oben genannten Mietwohngrundstücks (§ 181 Abs. 3 BewG) den Liegenschaftszinssatz zu Grunde zu legen, den der Gutachterausschuss für gemischt genutzte Grundstück...