1. Zweck der Vorschrift

 

Rz. 311

[Autor/Stand]"Als Schenkung gilt, ... was bei Auflösung eines (auf die Bindung von Vermögen gerichteten) Vereins ... erworben wird". Mit dieser Fiktion sorgte der Gesetzgeber aus Gründen der Steuergerechtigkeit dafür,[2] dass, ebenso wie der bei Aufhebung einer Stiftung erfolgende Übergang von Stiftungsvermögen (hierzu o. Rz. 304 ff.), seit 1.1.1974[3] auch der mit der Auflösung eines Vereins einhergehende Anfall des Vereinsvermögens (§ 45 BGB) der Schenkungsteuer unterliegt. Die gewollte Gleichbehandlung sollte zwar auf solche Vereine beschränkt werden, in denen große Vermögen gebunden sind.[4] Im Text der Vorschrift spiegelt sich dies jedoch nicht. – Dass jedenfalls sog. Familien-Vereine,[5] gleich den Familienstiftungen, betroffen sind, folgt aus dem insoweit gleichlautenden Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG sowie aus der besonderen, bislang noch nicht praktisch gewordenen, Steuerermäßigungsnorm des § 26 ErbStG (vgl. § 26 ErbStG Rz. 2). Die Behauptung, für gemeinnützige Vereine gelte die Vorschrift nicht,[6] steht bislang im luftleerem Raum.

[Autor/Stand] Autor: Hartmann, Stand: 01.06.2020
[2] BT-Drucks. VI/3418, S. 64 Sp. 2.
[3] § 37 Satz 1 ErbStG i.d.F. des ErbStRefG v. 17.4.1974, BGBl. I 1974, 933.
[4] So ausdrücklich in BT-Drucks. VI/3418, S. 64 Sp. 2.
[5] Zu diesem Begriff Meincke/Hannes/Holtz17, § 1 ErbStG Rz. 21.
[6] So Griesel in Daragan/Halaczinsky/Riedel, Praxiskommentar ErbStG und BewG3, § 7 ErbStG Rz. 151.

2. Anwendung der Vorschrift

 

Rz. 313

[Autor/Stand] Einschlägige Erwerbe ereignen sich grundsätzlich im Rahmen einer Liquidation des solange fortbestehenden Vereins (§§ 47, 49 Abs. 2 BGB).[2] Bei der Stiftungsauflösung ist dies nicht anders (§ 88 Satz 3 BGB). Der Intention zu Alt. 1 folgend (s.o. Rz. 304), müsste Alt. 2 daher konsequent jede Übertragung von Vereinsvermögen erfassen, die im Zuge der Liquidation eines Vereins geschieht.[3]

 

Rz. 314

[Autor/Stand] In einem zu § 3 Nr. 2 GrEStG ergangenen Urteil skizzierte der BFH beiläufig einen engen Anwendungsbereich der Regelung.[5] Er will sie einschränken auf anfallberechtigte Vereinsmitglieder, die als solche

Der Erwerb von Vereinsvermögen durch Nichtmitglieder soll hingegen allein nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zu beurteilen sein. Sie haben hierauf keinen Rechtsanspruch. Selbst wenn ihnen die Vereinssatzung ein Anfallsrecht einräumt, werden sie auf Kosten des Vereins freigebig bereichert. Der BFH begründet dies damit, dass die Vereinsmitglieder/Liquidatoren derartige Bestimmungen bis zum Ende der Liquidation, d.h. der Auskehrung des Restvermögens (§ 49 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB), jederzeit beseitigen können.[7] – Geschieht daher nicht schon die statutarische Bestellung eines Anfallsrechts in freigebiger Weise?[8]

 

Rz. 315

[Autor/Stand] Das Tatbestandsmerkmal der Auflösung fehlt beim Formwechsel eines Vereins (§ 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG). Daher verneinte der BFH die Steuerbarkeit nach Satz 1 Alt. 2 im Falle des Formwechsels in eine Kapitalgesellschaft.[10] Mit Satz 3 akzeptierte dies der Gesetzgeber und ordnete zugleich an, lediglich die formale Mutation rechtsfähiger Familien-Vereine in Kapitalgesellschaften – seit 1.1.2009 – wie eine Auflösung zu behandeln.[11] Anderen rechtsfähigen Vereinen droht daher beim zulässigen Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft (oder eingetragene Genossenschaft; §§ 272 ff. UmwG) ein Zugriff nach Satz 1 Alt. 2 allenfalls bei anschließender Auflösung des "neuen" Rechtsträgers.[12]

 

Rz. 316

[Autor/Stand] Ausdrücklich zu einer Auflösung des Vereins kommt es aber bei Verschmelzung eines dadurch erlöschenden, eingetragenen Vereins, dessen Vermögen auf einen anderen Rechtsträger übergeht (§§ 2, 3 Abs. 1 Nr. 4, 20 Abs. 1 Nrn. 1, 2 UmwG). Lässt sich ein solcher Vorgang nicht auch als fiktive Schenkung erfassen? Dass der Verein hierbei nicht liquidiert wird, kann nur dann entscheidend sein, wenn man die Liquidation als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Norm verstehen würde. So ist das zum Formwechsel ergangene BFH-Urteil wohl nicht zu interpretieren.[14] Dagegen spricht außerdem, dass der Zweck des Vereins mit Beginn seiner Liquidation nicht mehr auf die Bindung, sondern die Verteilung des Vereinsvermögens gerichtet ist (§ 49 Abs. 1 Satz 1 BGB).

 

Rz. 317

[Autor/Stand] Tatsächliche Besteuerungsfälle nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 Alt. 2 ErbStG wurden bislang nicht bekannt. Ob die Schenkungsteuerstellen von den Erwerbern und den Liquidatoren (§ 30 Abs. 2 ErbStG; § 34 AO/§ 48 BGB) und/oder verwaltungsintern[16] hinreichend informiert werden, mag hier offen bleiben. Durchaus naheliegt allerdings, dass es infolge Steuerfreiheit des jeweiligen Erwerbs zu keinem Besteuerungsverfahren kam (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG).[17] Denkbar ist dies insbesondere bei Anfall des Vereinsvermögens an steuerbegünstigte Körperschaften (s. § 13 Abs. 1 Nr. 16 ErbStG).[18] Oder die "ausgeantworteten" Restvermögenswerte (§ ...

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