Leitsatz

1. Der durch das Zweite Gesetz zur Änderung der FGO neu gefasste Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO ermöglicht neben den Fällen der Divergenz auch dann eine Entscheidung des BFH, wenn die einheitliche Beantwortung einer Rechtsfrage nur durch eine Entscheidung des BFH gesichert werden kann, weil dem FG bei der Auslegung und Anwendung des Rechts Fehler von so erheblichem Gewicht unterlaufen sind, dass sie, würden sie nicht von einem Rechtsmittelgericht korrigiert, geeignet wären, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen.

2. Hat das FG eine für den Streitfall zweifellos einschlägige Rechtsvorschrift übersehen, ist bei der Frage, ob deshalb ein Fehler von erheblichem Gewicht vorliegt, der zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO führt, auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang sich der Fehler des FG im Ergebnis nachteilig auf den unterlegenen Beteiligten ausgewirkt hat und in welchem Umfang die Beteiligten durch ihr eigenes Verhalten diesen Irrtum hätten vermeiden helfen und damit ein anderes Verfahrensergebnis hätten herbeiführen können.

 

Normenkette

§ 171 Abs. 14 AO , § 228 AO , § 231 Abs. 1 AO , § 231 Abs. 2 AO , § 231 Abs. 3 AO , § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO , § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO

 

Sachverhalt

Jemand hatte ein Grundstück erworben und war alsbald danach verstorben. Das FA, das dies nicht wusste, hatte gegen ihn 1994 Grunderwerbsteuer festgesetzt. Diese war von seinem Erben gezahlt worden. Mit einem am 30.12.1998 beim FA eingegangenen Telefax machte der Erbe jedoch die Nichtigkeit des Grunderwerbsteuerbescheids geltend und beantragte die Erstattung der geleisteten Zahlung. Das lehnte das FA ab.

Die deswegen erhobene Klage wurde vom FG mit der Begründung abgewiesen, der Erstattungsanspruch sei verwirkt; dem Kläger sei offenkundig nicht erst Ende 1998 aufgefallen, dass der Grunderwerbsteuerbescheid nichtig ist. Vielmehr habe er mit seinem Erstattungsantrag bis zum 30.12.1998 nur deshalb gewartet, um das FA auszuspielen und ihm die Möglichkeit zu nehmen, unter Wahrung der Ende 1998 ablaufenden Festsetzungsfrist die Grunderwerbsteuer gegen den Kläger festzusetzen.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen. Das Urteil sei falsch, weil die Festsetzungsfrist für die Grunderwerbsteuer nicht Ende 1998, sondern erst fünf Jahre nach rechtskräftiger Entscheidung über den strittigen Erstattungsanspruch ablaufe. Die Fehlentscheidung wirke sich aber im Ergebnis nicht nachteilig für den Kläger aus und dieser habe ein anderes Verfahrensergebnis ohne weiteres herbeiführen können, wenn er nicht selbst ebenso wie das FG § 171 Abs. 14 AO übersehen hätte.

 

Hinweis

1. Die Festsetzungsfrist für Steuern beträgt bekanntlich grundsätzlich vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO). Es gibt jedoch einen langen Katalog von Tatbeständen, durch die der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt wird. Hierzu gehört § 171 Abs. 14 AO: Die Festsetzungsfrist läuft nicht ab, bevor ein mit der Steuerfestsetzung "zusammenhängender" Erstattungsanspruch verjährt ist. Diese Vorschrift soll die Kluft zwischen Festsetzungsfrist (vier Jahre) und Zahlungsverjährung (fünf Jahre) überbrücken. Gäbe es sie nicht, könnte man auf nichtige Steuerbescheide zahlen und nach Ablauf von vier Jahren Erstattung beantragen, ohne befürchten zu müssen, dass die Steuer erneut, diesmal wirksam festgesetzt wird.

2. § 171 Abs. 14 kann zu einem ganz beträchtlichen Hinausschieben des Ablaufs der Festsetzungsfrist führen. Denn ein Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen nach § 37 Abs. 2 AO (also auf Grund rechtsgrundloser Zahlung), von dem in der Vorschrift die Rede ist, unterliegt keiner Festsetzungsverjährung, sondern nur der fünfjährigen Zahlungsverjährung des § 228 AO. Diese Zahlungsverjährungsfrist wird ihrerseits in einer ganzen Reihe von Fällen unterbrochen (näher § 231 Abs. 1 AO). Einer der häufigen Unterbrechungstatbestände ist das Geltendmachen des Erstattungsanspruchs; erstattet die Behörde nicht, sondern kommt es seinetwegen zu einem Rechtsbehelfsverfahren, endet die Unterbrechung erst mit Rechtskraft der Entscheidung über den Erstattungsanspruch (§ 231 Abs. 2 Satz 2 AO). Das können schon für sich gesehen Jahre sein. Anders als bei der Hemmung einer Verjährungsfrist führt die Unterbrechung zudem dazu, dass nach Ende der Unterbrechung die volle Frist (fünf Jahre) erneut zu laufen beginnt (siehe § 231 Abs. 3 AO). Auch die Festsetzungsfrist für den damit zusammenhängenden Steueranspruch des FA läuft so lange nicht ab!

Das FA hat also nach Ergehen der abschließenden gerichtlichen Entscheidung über einen Erstattungsanspruch wegen rechtsgrundloser Steuerzahlung (im Besprechungsfall: nach Ergehen des NZB-Beschlusses des BFH) – genau: nach Ablauf des Jahres, in dem diese Entscheidung rechtskräftig wird, was bei einem NZB-Beschluss mit Bekanntgabe der Fall ist – ganze fünf Jahre Zeit, um den Steuerbescheid erneut zu erlassen.

3. War ein FG-Urteil fa...

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