Leitsatz
§ 24 Abs. 2 S. 3 UStG 1999, wonach Gewerbebetriebe kraft Rechtsform die für Land- und Forstwirte geltende Durchschnittssatzbesteuerung nicht in Anspruch nehmen können, auch wenn im Übrigen die Merkmale eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs vorliegen, verletzt das Gemeinschaftsrecht und ist daher nicht anzuwenden.
Normenkette
§ 24 Abs. 2 S. 3 UStG 1999
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine eingetragene Genossenschaft, die ein Forstareal bewirtschaftet. Das FA versagte die begehrte Besteuerung nach Durchschnittssätzen mit der Begründung, dass die Durchschnittssatzbesteuerung für eine Genossenschaft als Gewerbebetrieb kraft Rechtsform nach § 24 Abs. 2 S. 3 UStG nicht anwendbar sei.
Die Klägerin machte u.a. geltend, die Versagung der Besteuerung nach Durchschnittssätzen allein wegen ihrer Rechtsform widerspreche dem Gemeinschaftsrecht.
Das FG wies die Klage ab und verneinte einen Verstoß des § 24 Abs. 2 S. 3 UStG gegen das Gemeinschaftsrecht (FG München, Urteil vom 13.06.2007, 3 K 689/05, Haufe-Index 1783843, EFG 2007, 1648).
Entscheidung
Die Revision der Klägerin hatte aus den in den Praxis-Hinweisen angeführten Gründen Erfolg.
Hinweis
1. Die Durchschnittssatzbesteuerung für land- und forstwirtschaftliche Betriebe gilt nach nationalem Recht nicht für Gewerbebetriebe kraft Rechtsform. Denn § 24 Abs. 2 S. 3 UStG bestimmt, dass ein Gewerbebetrieb kraft Rechtsform auch dann nicht als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb gilt, wenn im Übrigen die Merkmale eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs vorliegen.
2. Die in § 24 UStG geregelte Durchschnittssatzbesteuerung "beruht" auf Art. 25 der 6. EG-RL.
Diese Bestimmung enthält keine Regelung, die zu einer Versagung des Rechts auf eine Durchschnittssatzbesteuerung allein wegen der Rechtsform des Unternehmens berechtigt oder den nationalen Gesetzgeber ermächtigt, eine derartige Ausnahme zu schaffen.
3. Die Mitgliedstaaten dürfen bei der Umsetzung der Bestimmungen der 6. EG-RL die ihr zugrunde liegenden gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze nicht beeinträchtigen (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 12.01.2006, Rs. C-246/04"Turn- und Sportunion Waldburg", BFH/PR 2006, 160). Zu diesen Grundsätzen gehört nach ständiger Rechtsprechung des EuGH auch der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der besagt, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirken, bei der Mehrwertsteuererhebung nicht unterschiedlich – z.B. abhängig von der Rechtsform des Steuerpflichtigen – behandelt werden dürfen (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 06.11.2002, Rs. C-45-01 "Christoph-Dornier-Stiftung", BFH/PR 2004, 69, m.w.N.).
4.§ 24 Abs. 2 S. 3 UStG verstößt gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität. Denn es werden gleichartige Umsätze ausschließlich wegen der Rechtsform des Unternehmens unterschiedlich behandelt.
Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität ist durch die ständige Rechtsprechung des EuGH auch so gefestigt, dass der Verstoß des § 24 Abs. 2 S. 3 EStG gegen das Gemeinschaftsrecht zweifelsfrei ist und es daher insoweit einer Vorlage an den EuGH nach Art. 234 EG nicht bedarf.
Rechtsfolge des offensichtlichen Verstoßes der nationalen Regelung gegen das Gemeinschaftsrecht ist, dass sie nicht anwendbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.04.1987, 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223; EuGH, Urteil vom 09.03.1978, Rs. C-106/77"Simmenthal", Slg. 1978, 629).
5. Der XI. Senat hat dem BMF durch Übersendung des im Besprechungsfall ergangenen Gerichtsbescheids die Möglichkeit zum Beitritt (§ 122 Abs. 2 FGO) gegeben. Das BMF hat davon keinen Gebrauch gemacht, was darauf schließen lässt, dass es die Entscheidung des XI. Senats für zutreffend hält.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.04.2008, XI R 73/07