Wie die Ausführungen zum Verschulden bereits deutlich gemacht haben, muss bei der Festsetzung des Verspätungszuschlages zwischen Ermessenentscheidung (Kann-Festsetzung) und gebundener Entscheidung (Muss-Festsetzung) unterschieden werden.
Grundsätzlich steht die Entscheidung, ob ein Verspätungszuschlag festgesetzt wird, nach § 152 Abs. 1 AO im Ermessen des FA (Kann-Festsetzung). Dieses Entschließungsermessen wird aber in den Fällen des § 152 Abs. 2 AO durch eine gebundene Entscheidung (Muss-Festsetzung) ersetzt, allerdings nur, sofern keine Rückausnahme nach § 152 Abs. 3 AO greift (wiederum Kann-Festsetzung).
Bei der Ermessensentscheidung im Rahmen des § 152 Abs. 1 AO befinden wir uns im Bereich der Kann-Festsetzung, also kann das FA würdigen, ob und inwieweit das Veranlagungsverfahren durch die verspätete bzw. Nicht-Abgabe beeinträchtigt wurde oder wird. Hierbei ist auch der präventive Charakter des Verspätungszuschlages zu berücksichtigen, wonach der Steuerpflichtige zur künftigen fristgerechten Abgabe seiner Steuererklärungen angehalten werden soll. Grundsätzlich spielt es bei dieser Überlegung jedoch keine Rolle, ob das FA nach Eingang der Steuererklärung die Veranlagung zügig oder zögerlich vornimmt (BFH v. 19.6.2001 – X R 83/98, BStBl. II 2001, 618 = AO-StB 2001, 212; BFH v. 26.9.2001 – IV R 29/00, BStBl. II 2002, 120 = AO-StB 2002, 104; Rätke in Klein, AO, § 152 Rz. 22).
Wenn die in § 152 Abs. 2 AO genannten Fristen überschritten werden, sind wir im Bereich der Muss-Festsetzung und die Festsetzung des Verspätungszuschlages ist zwingend vorzunehmen. Auf ein Verschulden kommt es hier, wie bereits ausgeführt, nicht an; daher ist das FA bei Fristüberschreitung auch dann zur Festsetzung des Verspätungszuschlages verpflichtet, wenn die Verspätung entschuldigt wird. In solchen Fallkonstellationen kommt nur noch ein Erlass des Verspätungszuschlages aus persönlichen oder sachlichen Billigkeitsgründen nach § 227 AO in Betracht (BT-Drucks. 18/7457, 80).
Eine Pflicht zur Festsetzung besteht nach § 152 Abs. 2 Nr. 1 AO u.a. dann, wenn der Steuerpflichtige die Erklärung erst nach Ablauf von 14 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres bzw. nach dem Besteuerungszeitpunkt (z.B. im Falle der Erbschaftsteuererklärung) einreicht.
Allerdings ist diese Frist von 14 Monaten aufgrund der Corona-Krise durch Art. 97 § 36 Abs. 3 EGAO für die VZ 2020 bis 2024 verlängert worden.
- Für die VZ 2020 und VZ 2021 beträgt die Verlängerung 20 Monate,
- für den VZ 2022 19 Monate,
- für den VZ 2023 17 Monate und
- für den VZ 2024 16 Monate.
Es handelt sich hier um die Fristen für steuerlich vertretene Steuerpflichtige (§ 149 Abs. 3 AO), sie gelten allerdings auch für Steuerpflichtige, die ihre Steuererklärung selbst erstellen und daher zu einer früheren Abgabe verpflichtet sind (§ 149 Abs. 2 AO), weil § 152 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht zwischen § 149 Abs. 2 und 3 AO unterscheidet (vgl. BT-Drucks. 18/7457, 80; Rätke in Klein, AO, § 152 Rz. 49).
In § 152 Abs. 3 AO sind die Rückausnahmen zu Abs. 2 der Vorschrift geregelt, so dass wir in den Bereich der Kann-Festsetzung zurückkehren. Nach § 152 Abs. 3 Nr. 1 AO besteht keine Pflicht zur Festsetzung eines Verspätungszuschlages, wenn die Steuererklärung zwar nach Ablauf einer der in Abs. 2 genannten Fristen abgegeben wurde, die Frist aber über die in Abs. 2 Nr. 1 bis 3 genannte Frist hinaus nach § 109 AO verlängert oder rückwirkend verlängert wurde und die Steuererklärung erst nach Ablauf der in der Fristverlängerung genannten Frist abgegeben wurde.
Beispiel
Das FA gewährt dem A eine Frist bis zum 30.6.2022 für die Abgabe der Steuererklärung. A gibt seine Steuererklärung aber erst am 31.7.2022 ab. Die Festsetzung des Verspätungszuschlages steht in einer solchen Fallkonstellation im Ermessen des FA.
Nach § 152 Abs. 3 Nr. 2 AO entfällt die Pflicht zur Festsetzung eines Verspätungszuschlages ebenfalls, wenn die Steuer auf 0 EUR oder auf einen negativen Betrag festgesetzt wird. Ein Verspätungszuschlag ist dementsprechend möglich, steht aber im Ermessen der Finanzbehörde und wird i.d.R. auch tatsächlich festgesetzt werden, wenn der Steuerpflichtige bereits mehrfach seine Steuererklärung verspätet abgegeben hat (BT-Drucks. 18/8434, 113; AEAO zu § 152, Ziff. 5.2; Rätke in Klein, AO, § 152 Rz. 51).
Entsprechende Grundsätze gelten auch nach § 152 Abs. 3 Nr. 3 AO, wenn die Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anrechenbaren Steuern (Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer, ...) höher ist als die festgesetzte Steuer und nach § 152 Abs. 3 Nr. 4 AO, wenn es sich um eine jährlich abzugebende Lohnsteueranmeldung handelt.