Rz. 79
Prospektive Mitteilungspflicht. Zeitliche Umsetzungsfragen und Übergangsregelungen sind im EGAO geregelt. Gemäß Art. 97 § 33 Abs. 1 EGAO gilt die zum 1.1.2020 eingeführte Mitteilungspflicht grundsätzlich, d.h. in ihrer prospektiven Form, ab dem 1.7.2020. Dies betrifft solche Gestaltungen, bei denen das für die Mitteilung maßgebliche Ereignis nach § 138f Abs. 2 AO nach dem 30.6.2020 eingetreten ist. Nach dem Entwurfsschreiben des BMF sollte es nicht beanstandet werden, wenn diese grenzüberschreitenden Steuergestaltungen bis zum 30.9. übermittelt werden. Die EU-Kommission hatte als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie zudem den Vorschlag für eine Verschiebung der Fristen um drei Monate gemacht. Die Frist für den Beginn des Zeitraums von 30 Tagen für die Mitteilung grenzüberschreitender Gestaltungen sollte danach vom 1.7.2020 bis zum 1.10.2020 verlängert werden. Der Rat der Europäischen Union hat im Juni 2020 eine entsprechende Änderung der Richtlinie 2011/16/EU beschlossen. Danach wird den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, die Fristen um bis zu sechs Monate zu verschieben. Der deutsche Gesetzgeber hat im Rahmen des Corona-Steuerhilfegesetz v. 19.6.2020 einen neuen Abs. 5 in Art. 97 § 33 EGAO eingeführt. Dieser ermächtigt das BMF, zur zeitnahen Umsetzung unionsrechtlicher Bestimmungen hinsichtlich der Fristen zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen von den Vorgaben der Abs. 1 und 2 des Art. 97 § 33 EGAO abweichende Bestimmungen zu treffen. Gleichwohl hat das BMF von dieser Ermächtigung und den auf EU-Ebene eingeräumten Möglichkeiten keinen Gebrauch gemacht. Damit bleibt es bei der ursprünglich vorgesehenen zeitlichen Umsetzung.
Rz. 80
Retrospektive Mitteilungspflicht. Den EU-Vorgaben entsprechend gilt die Mitteilungspflicht gem. Art. 97 § 33 Abs. 2 EGAO auch rückblickend, d.h. für solche Gestaltungen, für die der erste Schritt nach dem 24.6.2018 und vor dem 1.7.2020 umgesetzt wurde. Mit Einführung des Gesetzes zum 1.1.2020 waren damit gut anderthalb Jahre, aus Sicht des 1.7.2020 sind gut zwei Jahre rückblickend auf mitteilungspflichtige Steuergestaltungen zu überprüfen. In diesen Fällen ist die Mitteilung abweichend von § 138f Abs. 2 AO innerhalb von zwei Monaten ab dem 30.6.2020, d.h. bis zum 31.8.2020 zu erstatten. Fraglich ist, ob die rückblickende Mitteilungspflicht ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot darstellt. Hinsichtlich der retrospektiven Mitteilungspflicht sollte gemäß Entwurfsschreiben des BMF ebenfalls eine Übermittlung bis zum 30.9. nicht beanstandet werden. Das BMF hat auch hier von der Möglichkeit einer Fristverlängerung keinen Gebrauch gemacht.
Rz. 81
Keine Sanktionierung der retrospektiven Mitteilungspflicht. Art. 97 § 33 Abs. 3 EGAO bestimmt ausdrücklich, dass die in § 379 AO eingefügten Tatbestände einer Ordnungswidrigkeit i.Z.m. der Mitteilungspflicht in allen Fällen anzuwenden ist, "in denen das nach § 138f Absatz 2 der Abgabenordnung [...] maßgebliche Ereignis nach dem 30. Juni 2020 eingetreten ist." Damit bestehen hinsichtlich der retrospektiven Mitteilungspflicht keine ausdrücklichen Sanktionstatbestände. Dies gilt auch für die Angabepflicht in der Steuererklärung durch den Nutzer.
Rz. 82
Keine Mitteilungspflicht für "Alt-Gestaltungen". Für Steuergestaltungen, deren erster Umsetzungsschritt vor dem 24.6.2018 unternommen wurde, besteht keine Mitteilungspflicht. Dies gilt auch dann, wenn die Umsetzung der Steuergestaltung zum Teil (d.h. nicht der erste Umsetzungsschritt) nach dem 24.6.2018 erfolgt bzw., wenn sich die Steuergestaltung erst nach diesem Datum auswirkt. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass eine bestehende Steuergestaltung u.a. dann mitteilungspflichtig werden kann, wenn diese einem neuen Nutzer bereitgestellt wird oder ein neuer Nutzer den ersten Umsetzungsschritt unternimmt.