Leitsatz
1. Können die Leistungsempfänger einer Stiftung unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen, handelt es sich bei den Leistungen um Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG 2002 i.d.F. des UntStFG.
2. Kommt ein Steuerpflichtiger seiner gesetzlichen Verpflichtung, KapESt einzubehalten und an das FA abzuführen, nicht nach, handelt er regelmäßig grob fahrlässig. Das gilt auch bei nicht eindeutiger Rechtslage; eine abweichende Rechtsmeinung ist im Rechtsbehelfsverfahren durchzusetzen.
Normenkette
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 9, § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 7a, § 44 Abs. 1 S. 1 und 3, Abs. 5 EStG 2002 i.d.F. des UntStFG
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine im Jahr 1895 errichtete Familienstiftung. Ihr Zweck ist es, das Vermögen des Stifters den männlichen Abkömmlingen seines Vaters und Großvaters zu erhalten und den Abkömmlingen durch Zuwendungen der Stiftung eine in wirtschaftlicher Beziehung gesicherte Lebensstellung zu verschaffen.
Anteilsberechtigt sind die ehelichen männlichen Abkömmlinge eines Neffen und zweier Vettern des Stifters. Jeder der Anteilsberechtigten hat unter weiteren in der Satzung niedergelegten Voraussetzungen Anspruch auf eine Kapitalzuwendung und eine Zeitrente oder auf eine lebenslängliche jährliche Rente i.H.v. 1 000 DM.
Die Klägerin erzielte in den Streitjahren 2002 bis 2005 Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung. Der Aufforderung des FA, auch KapESt-Anmeldungen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 9 i.V.m. § 43 Abs. 1 Nr. 7a EStG 2002 i.d.F. des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 2001, 3858, BStBl I 2002, 35) vorzulegen, entsprach sie nicht.
Das FA nahm die Klägerin daraufhin für KapESt 2002 bis 2005 nach § 44 Abs. 5 EStG 2002 als Haftende in Anspruch.
Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.09.2009, 8 K 9250/07, Haufe-Index 2249705, EFG 2010, 55) …
Entscheidung
…, was vom BFH nicht bestätigt wurde: Bei den Leistungen an die "männlichen Abkömmlinge" handle es sich sehr wohl um wirtschaftlich mit Gewinnausschüttungen vergleichbare Leistungen, die dem Einkünftetatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG 2002 n.F. unterfielen. Die Inanspruchnahme der Stiftung als Haftende sei deswegen Rechtens.
Hinweis
Ein Urteil mit beträchtlichen Folgen für Familienstiftungen und deren Begünstigter:
1. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG 2002 n.F. gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Einnahmen aus Leistungen einer nicht von der KSt befreiten Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S.d. § 1 Abs. 1 Nrn. 3 bis 5 KStG, die Gewinnausschüttungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStGwirtschaftlich vergleichbar sind, soweit sie nicht bereits zu den Einnahmen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören. Diese Regelungsanordnung wurde zwischenzeitlich – durch das JStG 2010 und letzten Endes zur Umgehungsvermeidung – auf entsprechende Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen ohne Sitz oder Geschäftsleitung im Inland ausgedehnt, § 20 Abs. 1 Nr. 9 S. 2 EStG 2009 n.F.
2. Und so verhält es sich nach Auffassung denn auch bei steuerbefreiten Familienstiftungen, welche satzungsgemäß Leistungen an Familienangehörige als Stiftungsdestinatäre erbringt. Solche Leistungen sind mit Gewinnausschüttungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar. Einer kapitalmäßigen Vermögensbeteiligung bedarf es dafür nicht.
Und letztlich gehören dazu alle auf Wiederholung angelegten Leistungen der in § 1 Nrn. 3 bis 5 KStG genannten Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, denen keine Gegenleistungen der Empfänger gegenüberstehen. Konkret beantworten musste der BFH das allerdings nur für solche Fälle, in denen die Leistungsempfänger – sei es kraft Satzung, sei es kraft Leitungsmacht – unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen können.
3. Kommt die Stiftung ihrer Verpflichtung zum KapESt-Abzug nicht nach, dann droht ihr die Inanspruchnahme qua Haftungsbescheid, § 44 Abs. 5 EStG. Der Nachweis, das dafür notwendige Verschulden in Gestalt der groben Fahrlässigkeit oder des Vorsatzes habe gefehlt, wird kaum erbracht werden können Der BFH bleibt insofern seiner recht engherzigen Betrachtungsweise (s. z.B. BFH, Urteile vom 20.08.2008, I R 29/07, BFH/NV 2008, 2133, BFH/PR 2009, 10; vom 17.02.2010, I R 85/08, BFH/NV 2010, 1353, BFH/PR 2010, 329) treu:
Der mögliche Nachweis fehlenden Verschuldens misslingt, wenn der Vergütungsschuldner "bewusst" und trotz offensichtlicher, auf der Hand liegender Zweifel von der Einbehaltungs- und Abführungspflichten Abstand nimmt. Dass es im Schrifttum Gegenstimmen "namhafter Autoren" gibt, ändert daran nichts. Der Abführungsverpflichtete ist also gehalten, zunächst seinen Gesetzespflichten zu genügen und ggf. anschließend das Rechtsbehelfsverfahren zu durchlaufen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 03.11.2010 – I R 98/09