Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO regelt das Verhältnis zu speziellen Normen zur Verhinderung von Steuerumgehung. Zahlreiche Regelungen enthalten Sondervorschriften (s. § 8 Abs. 4 KStG oder § 10 Abs. 5 UStG). Der BFH nahm in vielen Fällen eine verdrängende Wirkung der Spezialregelungen an (BFH v. 15.12.1999, I R 29/97, BStBl II 2000, 527 zum inzwischen aufgehobenen § 50c EStG). Soweit der Spezialtatbestand nicht erfüllt war, sollte nach der Rspr. auch § 42 AO a. F. unter dem Gesichtspunkt der Spezialität nicht zur Anwendung kommen (so zu § 50d Abs. 1a EStG BFH v. 31.05.2005, I R 74, 88/04, BStBl II 2006, 118 – Nichtanwendungserlass BMF v. 30.01.2006, BStBl I 2006, 166; BFH v. 29.01.2008, I R 26/06, BStBl II 2008, 978; s. auch BFH v. 19.12.2007, I R 21/07, BStBl II 2008, 619, wonach diese Vorschrift wiederum durch Art. 23 DBA-Schweiz a. F. verdrängt wurde). Umgekehrt sollte aus § 42 AO a. F. keine allgemeine Regel zu entnehmen sein, die zu einer einschränkenden Auslegung der Spezialtatbestände führte (BFH v. 11.09.2002, II B 113/02, BStBl II 2002, 777, 778 zu § 1 Abs. 2a GrEStG). Durch die Regelung des § 42 Abs. 1 Satz AO n. F. will der Gesetzgeber klarstellen, dass den spezielleren Vorschriften in den Einzelsteuergesetzen im Hinblick auf die allgemeine Regelung des § 42 Abs. 1 AO keine Abschirmwirkung zukommt. § 42 AO trete gleichrangig neben andere Vorschriften, die die Behandlung Steuerumgehungen regeln. Ein Wertungsvorrang dieser Regelungen bestehe nicht, sodass § 42 AO insbes. dann anwendbar sei, wenn die Voraussetzungen dieser anderen Vorschriften im Einzelfall nicht vorliegen (AEAO zu § 42, Nr. 1; zur Prüfungsreihenfolge s. Rz. 5). Dem ist zumindest in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Ein spezialgesetzlicher typisierender Missbrauchstatbestand wirkt sich reflexartig auf § 42 AO aus, weil dessen Missbrauchskonkretisierung in die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit einfließen muss (Hey, StuW 2008, 167, 173).
Tz. 7
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die §§ 7ff. AStG schließen die Anwendung des § 42 AO nicht aus. Im Gegenteil war bereits § 42 AO a. F. logisch vorrangig, sodass die §§ 7ff. AStG nicht eingreifen, wenn die Zwischenschaltung einer Basisgesellschaft wegen Gestaltungsmissbrauchs nicht anzuerkennen ist (BFH v. 19.01.2000, I R 94/97, BStBl II 2001, 222; BFH v. 25.02.2004, I R 42/02, BStBl II 2005, 14: Beteiligung an IFSC Gesellschaft in den irischen Dublin Docks; s. auch BMF v. 19.03.2001, BStBl I 2001, 243; s. Rz. 16). Umgekehrt sollten aber die Wertungen der §§ 7ff. AStG bei der Beurteilung der Frage, ob ein Gestaltungsmissbrauch vorliegt, zu berücksichtigen sein (BFH v. 20.03.2002, I R 63/99, BStBl II 2003, 50). In gleichem Maße verdrängen auch DBA-Regelungen § 42 AO nicht. Die Frage, ob eine Abkommensberechtigung durch § 42 AO entzogen werden kann, stellt sich aus systematischen Gründen erst, wenn der Einkommenserzieler und damit der von einer Doppelbesteuerung zu entlastende Steuerpflichtige nach den Maßstäben des innerstaatlichen Rechts feststeht (BFH v. 29.10.1997, I R 35/96, BStBl II 1998, 235; BFH v. 20.03.2002 I R 38/00, BStBl II 2002, 819, 823).