Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Während sich jeder Kläger Beteiligte vor dem FG selbst vertreten kann (Rz. 1), besteht vor dem BFH gem. § 62 Abs. 4 Satz 1 FGO Vertretungszwang, und zwar auch für solche Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem BFH eingeleitet wird (§ 62 Abs. 4 Satz 2 FGO), z. B. die Einlegung einer Beschwerde (§ 128 FGO). Hiergegen bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, insbes. liegt darin kein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) oder die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG (BVerfG v. 20.08.1992, 2 BvR 1000/92, HFR 1992, 729; BFH v. 22.07.2010, V S 8/10, BFH/NV 2010, 2095; BFH v. 19.01.2012, VI B 98/11, BFH/NV 2012, 759; BFH v. 06.02.2013, X K 11/12, BFH/NV 2013, 849). Ebenso wenig begründet § 62 Abs. 4 FGO einen Verstoß gegen Art. 47 Abs. 2 EUGrCh: Danach kann sich jede Person beraten, verteidigen und – auch vor Gericht – vertreten lassen. Dieses Recht nimmt den Mitgliedstaaten aber nicht die Möglichkeit, aus verfahrensökonomischen Gründen vor bestimmten Gerichten einen Vertretungszwang vorzusehen (BFH v. 22.07.2010, V S 8/10, BFH/NV 2010, 2095; BFH v. 07.10.2010, II S 8/09, ZSteu 2011, R158; BFH v. 19.01.2012, VI B 98/11, BFH/NV 2012, 759; BFH v. 06.02.2013, X K 11/12, BFH/NV 2013, 849). Schließlich verletzt § 62 Abs. 4 FGO ebenso wenig Art. 6 Abs. 1 EMRK (BFH v. 06.02.2013, X K 11/12, BFH/NV 2013, 849).
Tz. 10
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Vertretungszwang vor dem BFH gilt für alle Verfahrenshandlungen und für alle Verfahrensarten (BFH v. 04.03.2009, X B 13/09, juris; Spindler in HHSp, § 62 FGO Rz. 91 ff.), z. B. auch für einen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs. 2 Satz 3 FGO; BFH v. 24.06.2015, I R 13/13, BStBl II 2016, 97: Eine ohne Beachtung des Vertretungszwangs gewährte Fristverlängerung ist gleichwohl wirksam). Postulationsfähig sind vor dem BFH nur die in § 62 Abs. 2 FGO abschließend aufgeführten Personen. Fehlt die Postulationsfähigkeit, ist das Rechtsmittel (Revision, NZB, Beschwerde) oder der sonstige Rechtsbehelf unzulässig (z. B. BFH v. 17.10.2017, IX B 98/17, BFH/NV 2018, 49; s. Rz. 1). Eine Ausnahme hiervon nimmt der BFH an, wenn bei Fehlen der erneuten Bestellung eines Prozessbevollmächtigten nach Fortführung des zuvor wegen der Insolvenzeröffnung unterbrochenen Revisionsverfahrens (§ 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 240 Satz 1 ZPO) weitere Handlungen eines Beteiligten nicht mehr erforderlich sind (BFH v. 19.02.2014, XI R 1/12, BFH/NV 2014, 804). Der Vertretungszwang gilt auch für die Erhebung einer Anhörungsrüge, wenn für die beanstandete Entscheidung ihrerseits Vertretungszwang galt (z. B. BFH v. 03.02.2014, I S 3/14, BFH/NV 2014, 872; BFH v. 16.08.2016, II S 16/16, BFH/NV 2016, 1746; BFH v. 09.01.2018, IX S 26/17, BFH/NV 2018, 450; aber s. Rz. 12). Die Gegenvorstellung, die neben der Anhörungsrüge gegen änderbare Gerichtsentscheidungen als statthaft betrachtet wird (BFH v. 11.09.2013, I S 14, 15/13, BFH/NV 2014, 50), unterliegt – wie auch die Anhörungsrüge – dem Vertretungszwang des § 62 Abs. 4 Satz 1 FGO, wenn dieser auch für die mit der Gegenvorstellung angegriffene Entscheidung gilt (z. B. BFH v. 19.07.2012, X B 62/12, BFH/NV 2012, 1820; vgl. auch BFH v. 08.05.2014, II S 18/14, BFH/NV 2014, 1220). Der Vertretungszwang im Verfahren der NZB erstreckt sich auch auf ein dort gestelltes Befangenheitsgesuch (BFH v. 30.03.2009, VIII S 5/09, juris). Ebenso unterliegt die nach § 128 Abs. 1 FGO statthafte Beschwerde gegen die Festsetzung eines Ordnungsgelds gegen einen nicht erschienenen Zeugen gem. § 82 FGO i. V. m. § 380 Abs. 3 ZPO (BFH v. 12.01.2011, IV B 73/10, BFH/NV 2011, 811; BFH v. 13.04.2016, V B 42/16, BFH/NV 2016, 1057) oder gegen einen Aussetzungsbeschluss des FG dem Vertretungszwang vor dem BFH (BFH v. 15.12.2017, IX B 130/17, BFH/NV 2018, 346). Der Vertretungszwang gilt auch für einen Antrag auf ein In-camera-Verfahren gem. § 86 Abs. 3 FGO (BFH v. 06.04.2011, IX S 15/10, BFH/NV 2011, 1177; BFH v. 07.02.2013, IV S 23/12, BFH/NV 2013, 761) und einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) vor dem BFH (BFH v. 10.07.2002, IX K 1/02, BFH/NV 2002, 1341; BFH v. 01.03.2013, IX R 10/11, BFH/NV 2013, 1239), ebenso für einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO (BFH v. 03.01.2014, VII B 193/13, BFH/NV 2014, 700; BFH v. 15.12.2017, IX B 130/17, BFH/NV 2018, 346; s. § 74 FGO Rz. 7). Auch bei Entschädigungsklagen wegen überlanger Verfahrensdauer nach § 155 Satz 2 FGO i. V. m. § 198 GVG, für die in Bezug auf finanzgerichtliche Verfahren ausschließlich der BFH zuständig ist, gilt ebenfalls Vertretungszwang (BFH v. 06.02.2013, X K 11/12, BFH/NV 2013, 849). Demgegenüber besteht für die Einlegung der Kostenerinnerung (§ 66 Abs. 1 GKG; s. Vor § 135 FGO Rz. 34) beim BFH gem. § 66 Abs. 5 Satz 1 GKG kein Vertretungszwang (z. B. BFH v. 15.10.2014, X E 23/14, BFH/NV 2015, 219; BFH v. 09.02.2015, X E 25/14, BFH/NV 2015, 697; BFH v. 13.04.2016, III B 16/15, BFH/NV 2016, 1302). Au...