Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Preißer
Rz. 210
Nach § 1922 Abs. 1 BGB tritt der Erbe unmittelbar die Vermögensnachfolge des Erblassers an. Trotz des "Vonselbsterwerbs" im deutschen Erbrecht wird – etwa bei einem überschuldeten Nachlass – dem gesetzlichen wie dem gewillkürten Erben zugestanden, die Erbschaft auszuschlagen (s. §§ 1942ff. BGB). Insoweit besteht bis zum Ablauf der (grundsätzlich sechswöchigen) Ausschlagungsfrist auch nach deutschem Erbrecht ein Schwebezustand. Mit der Ausschlagung gilt der Erbanfall als nicht erfolgt und der Nächstberufene ist der gesetzliche Erbe. Der Ausschlagende verwirkt grundsätzlich auch sein Pflichtteilsrecht. Gerade im Hinblick auf eine steuerlich motivierte Ausschlagung ist noch hervorzuheben, dass die formbedürftige Ausschlagungserklärung nach § 1947 BGB bedingungsfeindlich konzipiert ist. Danach sind Ausschlagungen, die im bestgemeinten Sinne mit dem Vorschlag der Erbeinsetzung zu Gunsten anderer Personen gekoppelt sind, etwa in dem Sinne, einen Neuen (einen Dritten) als Erben zu bestimmen, grundsätzlich unwirksam. Die Unwirksamkeit greift nicht, wenn der Vorgeschlagene ohnehin der gesetzliche Ersatzerbe wäre (sog. unechte Bedingung). Eine solche Ausschlagung bietet sich insbesondere als Gestaltungsinstrument zur Abkürzung des Zuwendungsweges und damit zur Vermeidung des zweimaligen Anfalls der ErbSt an (Beispiel: Ausschlagung des Erben zugunsten seines Sohnes, s. Rn. 462 ff.).
Rz. 211
Die Ausschlagung selbst ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Nachlassgericht (s. § 1945 BGB). Sie ist auch nicht auf Teilaspekte des Erbrechts (z. B. "unter Vorbehalt des Pflichtteilsrechts") zu beschränken (s. § 1959 BGB) und sie ist nicht mehr möglich, wenn die Erbschaft schon angenommen ist (s. § 1943 BGB). Die Annahme selbst erfolgt meist durch konkludentes Handeln (z. B. durch Besitzergreifung des Nachlasses.) Nach Ablauf der Sechswochenfrist gilt die Erbschaft als angenommen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei der gesetzlichen Erbfolge die Sechswochenfrist ab Kenntnis des Erbanfalls zu laufen beginnt, während diese Frist bei einer gewillkürten Erbfolge frühestens mit der Testamentsverkündung startet (s. § 1944 Abs. 2 Satz 2 BGB, s. auch OLG Zweibrücken vom 23.02.2006, NJW-RR 2006, 1594). Eine Ausschlagung kann auch angefochten werden, z. B. wegen Inhaltsirrtum (hierzu – und vor allem zum Ausschluss der Anfechtung – OLG Düsseldorf vom 07.10.2008, NJW-RR 2009, 16).
Rz. 212
Oftmals bleibt als Gestaltungsinstrument nur die Ausschlagung, wenn es sich um eine steuerlich "inopportune" Regelung handelt (sog. klassisches postmortales Gestaltungsinstrument, vgl. Friedrich-Büttner/Herbst, ZEV 2014, 593). Neben der hohen Erbschaftsteuerbelastung sind es vor allem ungeschickte Testamente, die zu einer überflüssigen doppelten Belastung der Erbschaft führen, wenn etwa gleich alte Ehegatten sich bei Produktivvermögen gegenseitig einsetzen und die nächste Generation schon die Firmenleitung übernommen hat. Weitaus gravierender als diese Nachteile, die sich ggf. noch durch eine Nachlasstrennung (sog. "separatio bonorum") beheben lassen, sind jedoch falsche Testamente aus einkommensteuerlicher Sicht. Dies ist z. B. der Fall, wenn durch letztwillige Anordnungen die personelle Verflechtung bei einer Betriebsaufspaltung aufgehoben wird und es somit zur Betriebsaufgabe bei der Besitzgesellschaft kommt. Ähnliche Problemlagen bestehen bei Testamenten einer Personengesellschaft, wenn diese nicht mit dem Gesellschaftsvertrag abgestimmt sind und von daher durch sachliche Zuweisungen (des Sonderbetriebsvermögens an Nicht-Gesellschafter) der betriebliche Zusammenhang gelöst wird und es so zur Steuerentstrickung kommt (s. allgemein Flick, DStR 2000, 1816). Schließlich bleibt auch dann nur die Ausschlagung, wenn und soweit in der Person des Nächstberufenen (des Ersatzerben) die steuerlichen Qualifikationsmerkmale vorliegen, die allein ungewollte Ertragsteuerfolgen verhindern helfen.
Rz. 213
Alternativen zur Ausschlagung (Friedrich-Büttner/Herbst, ZEV 2014, 593): Aus steuerlichen Gründen kann es sich jedoch anbieten, bei Berliner Testamenten Pflichtteilsansprüche nach dem Tod des Letztversterbenden geltend zu machen (zulässig nach BFH vom 19.02.2013, ZEV 2013, 220), wenn im Wesentlichen lediglich die Freibeträge weiterer Beteiligter genutzt werden sollen. Grenze einer taktischen Ausschlagung ist ihre Unflexibilität; mit ihr kann lediglich die gesetzliche Erbfolge (bzw. die testamentarisch angeordnete Ersatzerbfolge) erreicht werden.
Rz. 214
In der Praxis überwiegt die Ausschlagung gegen eine Abfindung.
M ist nicht bereit, ihrem Sohn das Mehrfamilienhaus (Steuerwert: 3 Mio. EUR) ganz ohne Gegenleistung zukommen zu lassen. S und M vereinbaren daher einen Ausgleichsbetrag von 1,5 Mio. EUR.
In den Fällen, da der eingesetzte Erbe über kein anderweitiges Vermögen verfügt, bietet sich die Ausschlagung gegen Abfindung an. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG wird die (auch ein-kommensteuerrelevante; s. BMF vom 10.01.1993, BStBl I 1...