Abkommensrechtliche Aufteilung der Einkünfte

Die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit eines im Inland ansässigen Piloten, der von einem in der Schweiz ansässigen Unternehmen im internationalen Luftverkehr eingesetzt wird, sind nur insoweit von der deutschen Einkommensteuer (unter Progressionsvorbehalt) freizustellen, als er seine Tätigkeit nach dem Territorialitätsprinzip auf Schweizer Boden und im Schweizer Luftraum ausübt.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Nach Art. 15 DBA-Schweiz können sowohl dem Ansässigkeitsstaat als auch dem Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht an den Einkünften aus unselbständiger Arbeit zustehen. In diesem Fall bestimmt sich die Ausübung des Besteuerungsrechts nach Art. 24 Abs. 1 DBA-Schweiz.

Nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz werden bei einer in Deutschland ansässigen Person die aus der Schweiz stammenden Einkünfte aus unselbständiger Arbeit im Sinne des Art. 15 DBA-Schweiz von der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer ausgenommen, wenn sie nach den dem Art. 24 voranstehenden Artikeln des DBA-Schweiz in der Schweiz besteuert werden können und die unselbständige Arbeit in der Schweiz ausgeübt wird.

Die Doppelbesteuerung wird bei einer in Deutschland ansässigen Person, die Einkünfte aus der Schweiz bezieht, entweder unter Anwendung der Freistellung mit Progressionsvorbehalt (Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DBA-Schweiz i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG) oder über die Anrechnung ausländischer Steuern auf den Teil der deutschen Einkommensteuer, der auf diese Einkünfte entfällt (Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz i.V.m. § 34c EStG) vermieden.

Sachverhalt: Pilot mit Wohnsitz in der Schweiz und Deutschland

Der dem Rechtsstreit zugrundeliegende Sachverhalt stellt sich wie folgt dar:

  • Der verheiratete Kläger, der nach § 26a EStG in den Streitjahren 2013 und 2014 einzelveranlagt wurde, war bei der I-AG als Pilot angestellt. Der Sitz der Geschäftsleitung der I-AG befindet sich in Schweiz.
  • Der Kläger war in den Streitjahren sowohl im nationalen Flugverkehr der Schweiz als auch im internationalen Flugverkehr tätig. Er erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
  • Der Kläger hatte sowohl einen Wohnsitz in der Schweiz als auch in X in Deutschland. Sein Lebensmittelpunkt befand sich in den Streitjahren bei seiner Familie in Deutschland.
  • Vom Arbeitslohn des Klägers behielt die I-AG Schweizerische Quellensteuer ein.
  • In seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre erklärte der Kläger steuerfreien Arbeitslohn nach dem DBA-Schweiz.
  • Das Finanzamt (FA) entnahm den Flugplänen die Zeiten, in denen der Kläger außerhalb der Schweiz tätig war. Das FA kam zu dem Ergebnis, dass der auf diese Zeiten entfallende Einkünfteanteil im Rahmen der Anrechnungsmethode in Deutschland zu versteuern sei (Art. 15 Abs. 3 i. V. mit Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA Schweiz).

FG hat der Klage ganz überwiegend stattgegeben

Der Klage gab das Finanzgericht (FG) ganz überwiegend statt. Es war im Wesentlichen der Ansicht, dass die Frage, ob eine Arbeit in der Schweiz ausgeübt werde, bei einem internationalen Flug allein danach zu betrachten sei, ob dieser in der Schweiz beginne oder ende; dagegen sei keine Aufteilung auf Abschnitte in der Schweiz oder außerhalb der Schweiz vorzunehmen. Für 2013 seien danach 100 % und für 2014  99 % der Vergütungen des Klägers der Tätigkeit in der Schweiz zuzuordnen.

Entscheidung: BFH hält die Revision des FA für begründet

Die BFH hält die Revision des FA für begründet. Er hat das angefochtene Urteil aufgehoben und die nicht spruchreife Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Hierzu führen die Richter u.a. aus:

  • Der Kläger ist in den Streitjahren auch gemäß Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA-Schweiz abkommensrechtlich in Deutschland ansässig. Aufgrund des Zusammenlebens mit seiner Familie in X unterhielt er die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Vertragsstaat Deutschland.
  • Das Besteuerungsrecht für die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständi­ger Tätigkeit stehen Deutschland als Ansässigkeitsstaat und daneben der Schweiz als Tätigkeitsstaat beziehungsweise Unternehmensstaat unter Anwendung des Art. 15 DBA-Schweiz zu. Die dadurch entstehende Doppelbesteuerung in Bezug auf die Einkünfte des Klägers wird unter Anwendung des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz vermieden.
  • Danach sind die Einkünfte des Klägers, die er für die Tätigkeit im Rahmen reiner Inlandsflüge in der Schweiz erhalten hat, von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, da diese Tätigkeit als in der Schweiz ausgeübt gilt. Die Tätigkeit im Rahmen der Inlandsflüge gilt auch soweit sich diese auf den Luftraum über der Schweiz erstreckt als ausschließlich in der Schweiz ausgeübt.
  • Die Einkünfte des Klägers, die er für die unselbständige Arbeit an Bord eines Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr erhalten hat, sind demgegenüber nur insoweit von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, als die Tätigkeit territorial auf dem Boden oder im Luftraum über der Schweiz ausgeübt wurde. Nur soweit der Kläger auf Schweizer Boden und im Schweizer Luftraum tätig geworden ist, gilt seine Tätigkeit im Sinne des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz als "in der Schweiz ausgeübt".
  • Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass im Anwendungsbereich des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz die Arbeit an Bord eines Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr als "in der Schweiz aus­geübt" anzusehen sei, wenn der jeweilige Flug in der Schweiz beginnt oder endet.
  • Eine solche Auslegung lässt sich insbesondere nicht aus Art. 15 Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 ableiten. Danach können Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für eine in dem anderen Vertragsstaat ausgeübte unselbständige Arbeit bezieht, nur im Ansässigkeitsstaat besteuert werden, wenn der Empfänger sich in dem anderen Staat insgesamt nicht länger als 183 Tage während des betreffenden Kalenderjahres aufhält. Abgestellt wird hierbei auf die Aufenthaltsdauer, das heißt die physische Anwesenheit des Steuerpflichtigen im Tätigkeitsstaat, nicht auf die Dauer der ausgeübten Tätigkeit.
  • Für die Berechnung des 183-Tage-Zeitraums gelten damit andere Grundsätze als für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "in der Schweiz ausgeübt[e]" Arbeit in Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz, welches maßgeblich auf die Dauer der konkreten unselbständigen im Tätigkeitsstaat ausgeübten Arbeit für die Besteuerung abstellt.
  • Ebenso wenig kann für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "in der Schweiz ausgeübt[e]" Arbeit in Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz die Regelung des Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz herangezogen werden. Anders als der Kläger meint, gilt die unselbständige Arbeit, die ‑ wie hier ‑ unter den Tatbestand des Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz fällt, nicht als ausschließlich im Unternehmensstaat ausgeübt. Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz enthält keine derartige Fiktion des Arbeitsorts. Das Besteuerungsrecht des Unternehmensstaats knüpft gerade nicht an den geographischen Arbeitsort, sondern unabhängig vom Ort der Ausübung der Arbeit an den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens an.

Die Feststellungen des FG ermöglichen keine abschließende Entscheidung des Streitfalls. Im zweiten Rechtsgang wird das FG insbesondere festzustellen haben, welchen zeitlichen Anteil seiner unselbständigen Tätigkeit der Kläger territorial im Staatsgebiet oder im Luftraum der Schweiz beziehungsweise außerhalb des Schweizer Territoriums ausgeübt hat. Legt der Kläger insoweit aussagekräftige Unterlagen nicht vor, hat das FG die entsprechenden zeitlichen Anteile der Arbeitsausübung unter Beachtung der angeführten Rechtsgrundsätze zu schätzen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AO). Dabei wird es jedoch gegebenenfalls das im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Verböserungsverbot zu beachten haben.

BFH, Urteil v. 24.10.2024, VI R 28/22; veröffentlicht am 13.2.2025