Zahlung von Verwarnungsgeldern kein Arbeitslohn
Hintergrund: Parkverstöße durch Paketzusteller
X betreibt einen Paketzustelldienst. Einige Kommunen haben ihr (kostenpflichtige) Ausnahmegenehmigungen nach § 46 StVO erteilt, die ein kurzfristiges Halten zum Be- und Entladen in nicht freigegebenen Bereichen gestatten. Ist eine Ausnahmegenehmigung nicht erhältlich, wird es von X zur Gewährleistung eines reibungslosen Betriebsablaufs im Einzelfall hingenommen, dass die Fahrer auch in Halteverbotsbereichen oder Fußgängerzonen kurzfristig anhalten und hierfür gemäß § 56 OWiG Verwarnungsgelder erhoben werden.
Die Verwarnungsgelder werden entweder direkt von X als Halterin erhoben oder ihr wird ein Zeugenfragebogen mit der Aufforderung übersandt, die Personalien des Fahrers mitzuteilen oder das Verwarnungsgeld zu entrichten. X zahlt die Verwarnungsgelder in beiden Varianten innerhalb der gesetzten Wochenfrist.
Das FA ging davon aus, die Zahlung führe zu lohnsteuerpflichtigem Arbeitslohn. Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, es handele sich um die Tilgung einer gegen den Arbeitgeber bestehenden Verbindlichkeit und somit nicht um einen Vorteil des Arbeitnehmers.
Entscheidung: Kein Zufluss von Arbeitslohn bei den Fahrern
Das Verwarnungsverfahren hat den Zweck, im Bagatellbereich die Durchführung eines Bußgeldverfahrens zu ersparen und eine geringfügige präventive Maßnahme genügen zu lassen, wenn der Betroffene sich einsichtig zeigt und mitwirkt, indem er die Verwarnung durch Zahlung wirksam werden lässt. Ist der Halter mit der Verwarnung einverstanden und zahlt er das Verwarnungsgeld, wird die Verwarnung wirksam. Eine Entscheidung, wer für den Verkehrsverstoß verantwortlich ist, wird nicht getroffen und eine Zuweisung von Schuld findet nicht statt. Hiervon ausgehend, ist die Zahlung des Verwarnungsgelds auf die eigene Schuld der X erfolgt. Ein Zufluss von Arbeitslohn bei dem Fahrer, der die Ordnungswidrigkeit begangen hat, liegt daher nicht vor.
Zufluss eines geldwerten Vorteils durch Erlass einer Forderung gegenüber den Fahrern
Erlässt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine realisierbare Forderung, kann darin die Zuwendung eines als Arbeitslohn zu erfassenden geldwerten Vorteils liegen. Der Arbeitslohn fließt in einem solchen Fall in dem Zeitpunkt zu, in dem der Arbeitgeber zu erkennen gibt, dass er keinen Rückgriff nehmen wird (BFH v. 27.3.1992, VI R 145/89, BStBl II 1992, 837), und sich der Arbeitnehmer hiermit einverstanden erklärt.
Weitere Sachaufklärung erforderlich
Der BFH verwies den Fall mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen an das FG zurück. Dieses hat prüfen, ob und wenn ja in welcher Höhe der X wegen der von ihren Fahrern unstreitig begangenen Parkverstöße ein (vertraglicher oder gesetzlicher) Regressanspruch gegen den jeweiligen Verursacher zusteht. Das FG kann sich dabei nicht auf die Überlegung stützen, ein Regressanspruch scheide bereits deshalb aus, weil die Zusage des Arbeitgebers, eine dem Arbeitnehmer auferlegte Geldstrafe oder Geldbuße zu übernehmen, wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sei. Denn im Streitfall geht es nicht um eine dem Arbeitnehmer auferlegte Geldstrafe oder Geldbuße, sondern um die Zahlung des Arbeitgebers auf eine eigene Schuld aufgrund des gegen ihn selbst festgesetzten Verwarnungsgelds. Ein gesetzlicher Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 683 Satz 1, § 670 BGB) kann nicht mit dem Argument verneint werden, die Übernahme der Verwarnungsgelder sei im ausschließlich eigenbetrieblichen Interesse erfolgt. Denn die Fahrer waren angewiesen, sich auch in den Gebieten, für die eine Ausnahmegenehmigung nicht zu erlange sei, an die geltenden Verkehrsregeln zu halten.
Hinweis: Kein überwiegend eigenbetriebliches Interesse bei rechtswidrigem Handeln
Nach der früheren Auffassung des BFH lag kein Arbeitslohn vor, wenn der Arbeitgeber aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse die Verwarnungsgelder übernahm, die den angestellten Fahrern wegen Verletzung des Halteverbotes auferlegt wurden (BFH v. 7.7.2004, VI R 29/00, BStBl II 2005, 367). Diese Auffassung gab der BFH in dem Urteil v. 11.11.2013, VI R 36/12 (BStBl II 2014, 278) auf. Danach handelt es sich bei der Übernahme der gegen die Fahrer wegen Verstößen gegen die Lenk- und Ruhezeiten verhängten Bußgelder um Arbeitslohn. Dagegen kann nicht eingewandt werden, der Vorteil werde aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse des Arbeitgebers gewährt. Denn ein rechtswidriges Tun bzw. eine Anweisung zu rechtswidrigem Handeln ist keine Grundlage einer solchen betriebsfunktionalen Zielsetzung. Diese Überlegung gilt, darauf weist der BFH ausdrücklich hin, auch soweit es sich – wie im Streitfall bei den Parkverstößen – um Pflichtverletzungen im absoluten Bagatellbereich handelt.
Bei der Übernahme des Verwarnungsgeldes durch den Arbeitgeber ist demnach zu unterschieden: Wird das Verwarnungsgeld gegen den Arbeitnehmer festgesetzt, führt die Übernahme zu Arbeitslohn. Im Fall der Festsetzung gegen den Arbeitgeber liegt dagegen in der in der Übernahme kein Arbeitslohn. Nach § 4 Abs. 5 Nr. 8 EStG sind Verwarnungsgelder jedoch vom Abzug ausgeschlossen, so dass der Betriebsausgabenabzug entfällt. Allerdings kann im Verzicht auf den Regressanspruch gegen den Arbeitnehmer Arbeitslohn liegen.
BFH Urteil vom 13.08.2020 - VI R 1/17 (veröffentlicht am 29.10.2020)
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