Dem Verkäufer vorbehaltene Nutzungen als grunderwerbsteuerrechtliche Gegenleistung
Hintergrund: "Unentgeltliche" Grundstücksnutzung nach Verkauf
Eine Gemeinde erwarb vom Freistaat Sachsen ein Grundstück. Das parkähnliche Gelände war mit acht Gebäuden bebaut, von denen drei genutzt wurden. Die anderen befanden sich in schlechtem baulichem Zustand und standen leer. Die Gemeinde räumte dem Freistaat das Recht ein, seine bisherige Nutzung von zwei Gebäuden für 30 Jahre unentgeltlich fortzusetzen. Im Kaufvertrag hielten die Vertragsparteien fest, dass das Grundstück insgesamt mit einem negativen Kaufpreis zu bewerten sei und bestimmten keinen Kaufpreis. Stattdessen verpflichtete sich der Freistaat, für die Ablösung der Lasten des Grundstücks (schlechter Gesamtzustand, marode Erschließung) einen Betrag von 100.000 EUR zu zahlen.
Das FA legte der GrESt als Bemessungsgrundlage den Kapitalwert der dem Freistaat vorbehaltenen Nutzungen mit 490.000 EUR zugrunde.
Das FG gab der Klage der Gemeinde auf Herabsetzung der GrESt auf 0 EUR statt. Der Wert der Gegenleistung als Bemessungsgrundlage betrage 0 EUR. Denn die Vertragsparteien hätten einen Kaufpreis von ./. 100.000 EUR festgelegt, da sie mit Abbruchkosten gerechnet hätten, die den Wert des Grund und Bodens und der noch nutzbaren Gebäudeteile sowie des 30-jährigen Nutzungsrechts überstiegen.
Entscheidung: Einbeziehung der vorbehaltenen Nutzung in die Gegenleistung
Nach § 8 Abs. 1 GrEStG bemisst sich die GrESt grundsätzlich nach dem Wert der Gegenleistung. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG gilt als Gegenleistung bei einem Kauf der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen und der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen. Die Nutzungen stehen nach § 446 Satz 2 BGB von der Übergabe an grundsätzlich dem Käufer zu. Belässt der Käufer jedoch – unter Abbedingung dieser Regelung – die Nutzungen dem Verkäufer, liegt darin ein geldwerter Vorteil, den der Käufer für den Erwerb der Sache hingibt. Dies rechtfertigt die Einbeziehung der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen in die Gegenleistung (im Ergebnis BFH, Urteil v. 6.12.1989, II R 95/86, BStBl II 1990, 186).
Keine Gegenleistung bei Vergütung der vorbehaltenen Nutzungen
Leistet der Grundstücksverkäufer jedoch die vorbehaltenen Nutzungen eine angemessene Vergütung, liegt in der Nutzungsüberlassung keine Gegenleistung für das Grundstück i.S. von § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG (ähnlich BFH, Urteil v. 6.12.2017, II R 55/15, BStBl II 2018, 406).
Bestimmung der Gegenleistung durch Auslegung des Kaufvertrags
Für die Bestimmung der Gegenleistung ist nicht maßgebend, was die Vertragschließenden als Gegenleistung für das Grundstück bezeichnen, sondern zu welchen Leistungen sie sich tatsächlich verpflichtet haben (BFH, Urteil v. 8.9.2010, II R 28/09, BStBl II 2011, 227). Ob sich der Verkäufer Nutzungen ohne angemessenes Entgelt vorbehalten hat, ist daher durch Auslegung des Kaufvertrags zu ermitteln. Die Auslegung von Verträgen und Willenserklärungen gehört zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen des FG und bindet grundsätzlich den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO. Die Bindung gilt aber nur, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, d.h. jedenfalls möglich ist.
Eingeschränkte Prüfung der Auslegung des FG durch den BFH
Die Vertragsauslegung unterliegt daher einer eingeschränkten Überprüfung durch den BFH. Der BFH kann insoweit nur prüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln sowie die Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet und die für die Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht und rechtlich zutreffend gewürdigt hat. Dagegen ist die rechtliche Einordnung des vom FG gefundenen Auslegungsergebnisses sodann in vollem Umfang vom BFH nachprüfbare Rechtsanwendung (z.B. BFH, Urteil v. 30.1.2019, II R 26/17, BFH/NV 2019, 855).
"Unentgeltliche" Nutzungsüberlassung ist Gegenleistung
Hiervon ausgehend hat das FG rechtsfehlerhaft – und somit den BFH nicht bindend – verkannt, dass die dem Freistaat vorbehaltenen Nutzungen in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sind. Nach dem Kaufvertrag hat die Gemeinde als Käuferin keinen Kaufpreis zu entrichten. Stattdessen hat der Freistaat als Verkäufer eine Zuzahlung 100.000 EUR zu leisten. Hieraus ergibt sich der vom FG angenommene (negative) Kaufpreis von ./. 100.000 EUR. Das FG hat jedoch nicht berücksichtigt, dass die Gemeinde dem Freistaat das Recht eingeräumt hat, seine bisherige Nutzung von zwei Gebäuden für 30 Jahre unentgeltlich fortzusetzen. "Unentgeltlich" bedeutet, dass die Gemeinde vom Freistaat kein gesondertes Entgelt für die Überlassung der Gebäude fordert. Der Wert der Nutzungen stellt daher eine Gegenleistung der Gemeinde für den Erhalt des Grundstücks dar.
Zurückverweisung an das FG
Bemessungsgrundlage ist dementsprechend der Wert der Nutzungen abzüglich der Zuzahlung des Freistaats in Höhe von 100.000 EUR. Das FG wird im zweiten Rechtsgang Feststellungen zum Umfang der vorbehaltenen Nutzungen zu treffen und das Nutzungsrecht zu bewerten haben.
Hinweis: Fehlerhafte Vertragsauslegung des FG als Revisionsgrund
Das FG ging davon aus, dass die auf die Gemeinde zukommenden Abbruchkosten den Wert des Grund und Bodens, der noch nutzbaren Gebäude sowie auch des Nutzungsrechts überstiegen. Somit könnte man meinen, das FG habe – den BFH bindend – tatsächlich den Wert des Nutzungsrechts in seine Ermittlung der Gegenleistung einbezogen. Der BFH legt dagegen den Kaufvertrag dahin aus, dass der Wert der Nutzung zusätzlich als Gegenleistung zu berücksichtigen ist. Der BFH sieht somit in der Vertragsauslegung des FG einen Rechtsfehler, sodass insoweit die Tatsachenbindung an die FG-Feststellungen entfällt.
BFH Urteil vom 05.12.2019 - II R 37/18 (veröffentlicht am 19.03.2020)
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