Mit der Entfernungspauschale sind auch außergewöhnliche Kosten abgegolten
Hintergrund
Ein Arbeitnehmer hatte in 2009 auf dem Weg zur Arbeitsstätte an einer Tankstelle irrtümlich Benzin statt Diesel getankt. Dadurch entstanden ihm Reparaturkosten von rund 4.200 EUR, die er beim FA für 2010 vergeblich neben der Entfernungspauschale als Werbungskosten geltend machte.
Das FG gab der Klage statt. Es meinte, ausgehend vom objektiven Nettoprinzip sei das Gesetz über den Wortlaut hinaus dahin auszulegen, dass mit der Entfernungspauschale lediglich die gewöhnlichen laufenden Kfz-Kosten abgegolten seien.
Entscheidung
Der BFH vertritt eine strengere Auffassung als das FG. Auf die Revision des FA hob der BFH das FG-Urteil auf und wies die Klage ab.
Nach dem Gesetzeswortlaut sind mit der Entfernungspauschale "sämtliche Aufwendungen" abgegolten, die durch die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte (ab 2014: erste Tätigkeitsstätte) veranlasst sind. Das Wort "sämtliche" sieht der BFH als eindeutig an. Daraus ergibt sich, dass auch außergewöhnliche Kosten unabhängig von ihrer Höhe unter die Abgeltungswirkung fallen.
Die umfassende Abgeltungswirkung folgt ferner aus der Gesetzessystematik. Denn die ausdrücklich geregelten Ausnahmen vom Ansatz der Entfernungspauschale (Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und Fahrten Behinderter) sind nicht nur beispielhaft, sondern abschließend gemeint.
Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Mit der Abgeltung "sämtlicher Aufwendungen" sollten im Sinne der Steuervereinfachung insbesondere Rechtsstreitigkeiten über die Berücksichtigung besonderer Kosten vermieden werden. Soweit die Gesetzesmaterialien einerseits die Abgeltung "sämtlicher Aufwendungen" hervorheben und andererseits aber auch ergeben, eine Schlechterstellung gegenüber der ursprünglichen Regelung, nach der Unfallschäden mit der Pauschale nicht abgegolten waren, solle vermieden werden, sind die Materialien in sich widersprüchlich und können eine Auslegung gegen den Wortlaut nicht rechtfertigen.
Schließlich weist der BFH auch verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass durch die Entfernungspauschale auch außergewöhnliche Aufwendungen abgegolten werden, zurück. Die Regelung stellt eine sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip dar. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, für den Fall außergewöhnlicher Aufwendungen eine Ausnahme zu schaffen. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen darf sich der Gesetzgeber grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen.
Hinweis
Die Auffassungen der FG und des Schrifttum sind in der Frage, ob die Entfernungspauschale auch außergewöhnliche Aufwendungen abgilt, geteilt. Mit der Entscheidung des BFH ist die Problematik für die Praxis geklärt. Nicht zu verkennen ist allerdings, dass Kosten, die ihrer Natur nach außergewöhnlich sind (Unfall, Diebstahl, Sachbeschädigung), anders als die gewöhnlichen Kosten (Parken, Versicherungen, Finanzierung usw.) einer Pauschalierung nicht zugänglich sind. Sie unberücksichtigt zu lassen, bedeutet einen Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip.
Bisher lässt die Finanzverwaltung grundsätzlich Unfallkosten, die auf einer Fahrt zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte (ab 2014: erste Tätigkeitsstätte) oder auf einer zu berücksichtigenden Familienheimfahrt entstehen, neben der Entfernungspauschale zum Werbungskostenabzug zu (BMF-Schreiben v. 31.10.2013, BStBl I 2013 S. 215 Tz. 4). Es dürfte leider zu erwarten sein, dass die Verwaltung aufgrund des BFH-Urteils diese Ausnahme streichen wird.
BFH, Urteil v. 20.3.2014, VI R 29/13 (veröffentlicht am 25.6.2014)
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