Fünftelregelung (§ 34 EStG) bei Direktversicherung
Hintergrund: Einmalzahlung von der Pensionskasse
X erzielte in 2016 (Streitjahr) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Außerdem erhielt er von einer Pensionskasse eine Einmalzahlung (rund 26.000 EUR), die das FA als sonstige Einkünfte in vollem Umfang nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG besteuerte.
Der Einmalzahlung lagen zwei Rentenversicherungsverträge (Direktversicherungen) zugrunde, die die früheren Arbeitgeber als Versicherungsnehmer für X abgeschlossen hatten und die durch Entgeltumwandlung finanziert wurden. Die Beiträge wurden nach § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei gestellt. Die Auszahlung der Altersrenten zugunsten des versicherten Klägers sollte in 2032 beginnen.
In 2015 wurden die Verträge wegen eines finanziellen Engpasses des X zunächst beitragsfrei gestellt, nachfolgend vom damaligen Arbeitgeber auf Wunsch des X gekündigt und mit Wirkung zum 1.1.2016 aufgelöst. Die Auszahlung erfolgte an den Arbeitgeber, der sie an X weiter leitete.
Das FA lehnte die Anwendung der Fünftel-Regelung (§ 34 Abs. 1 EStG) ab.
Das FG gab der Klage statt. Es nahm eine außerordentliche Zahlung (i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EStG) an. Denn die Auszahlung sei atypisch, da wegen Unverfallbarkeit eine Kündigung eigentlich ausgeschlossen gewesen sei. Außerdem entspreche die Auszahlung vor dem Erreichen der Altersgrenze nicht dem typischen Ablauf von Altersvorsorge-Verträgen.
Entscheidung: Wertende Betrachtung aller Versicherungsverträge
Der ermäßigte Steuersatz erfordert – neben "Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten" – zur Einschränkung des eher zu weit gefassten Wortlauts zusätzlich die "Außerordentlichkeit" der Einkünfte (§ 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG; BFH v. 20.9.2016, X R 23/15, BStBl II 2017, 347, Rz 23). Dafür hat der BFH in zwei jüngeren Entscheidungen das Kriterium der Atypik als entscheidend angesehen. Die Begünstigung einer Einmalzahlung setzt danach voraus, dass die Zahlung für den betreffenden Lebens-, Wirtschafts- und Regelungsbereich atypisch ist. Ob darüber hinaus in dem Vertrag die Möglichkeit einer Kapitalabfindung bereits von Anfang an vorgesehen war oder nicht, stellt sich lediglich als ein Indiz dafür dar, ob eine Kapitalabfindung im betreffenden Lebens- oder Wirtschaftsbereich typisch oder atypisch ist (BFH v. 11.6.2019, X R 7/18, BStBl II 2019, 583, Rz 24, und X R 24/18, BFH/NV 2019, 1337, Rz 19).
Kündigungsausschluss führt nicht zur Außerordentlichkeit
Dass nach den Vertragsbedingungen eine Kündigung nicht (mehr) möglich gewesen wäre, führt daher für sich allein nicht zur Außerordentlichkeit. Im Streitfall liegt in der Akzeptanz der Kündigung ein Aufhebungsvertrag. Ein solcher konnte zwischen der Versicherungsgesellschaft und dem Versicherungsnehmer (Arbeitgeber) im Einverständnis der versicherten Person (X) auch ohne ausdrückliche Regelung in den Versicherungsverträgen geschlossen werden. Die Kündigung (Aufhebung) nach eingetretener Unverfallbarkeit der Anwartschaft widersprach auch nicht dem Betriebsrentengesetz (BetrAVG). Die bereits unverfallbare Versorgungsanwartschaft des X wurde einvernehmlich durch die Auszahlung des Rückkaufswertes abgefunden.
Wertende Beurteilung anhand statistischer Daten
Die Frage der Atypik ist im Rahmen der betrieblich und steuerlich geförderten privaten Altersvorsorge (zweite Schicht des sog. Drei-Schichten-Modells) auf der Grundlage empirisch-statistischer Daten wertend zu beantworten. (BFH v.11.6.2019, X R 7/18, BStBl II 2019, 583, Rz 31 f.). Für die wertende Beurteilung der Einmalzahlung ist auf sämtliche Versicherungsverträge abzustellen, die zu nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG zu versteuernden Leistungen aus Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen führen und die während der Geltung der im Streitjahr maßgebenden Rechtslage (d.h. ab Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes, AltEinkG am 1.1.2005 bis gegenwärtig) durch eine einmalige Kapitalabfindung bei Rentenbeginn oder vorzeitig durch Kündigung bzw. durch sonstige Vertragsauflösung mit der Folge einer Auszahlung des Rückkaufswertes beendet worden sind (BFH v.11.6.2019, X R 7/18, BStBl II 2019, 583, Rz 29). Nicht einzubeziehen sind Altersvorsorgeverträge.
Zurückverweisung zur Erhebung statistischer Daten
Mangels statistischen Materials konnte der BFH nicht beurteilen, ob es nur in atypischen Einzelfällen zur Kapitalabfindung bei Rentenbeginn bzw. zur vorzeitigen Beendigung von Versicherungsverträgen aus dem Bereich der betrieblichen Altersversorgung durch Kündigung oder sonstige Aufhebung verbunden mit einer Auszahlung des Rückkaufswertes kommt oder nicht. Dies wird das FG – erforderlichenfalls durch Anfragen bei Organisationen, die über entsprechendes statistisches Material verfügen dürften, wie z.B. Verbraucherschutzorganisationen sowie Verbände der Anbieter (Versorgungseinrichtungen) – festzustellen haben.
Hinweis: Klarstellung gegenüber bisheriger Rechtsprechung
Das FG hat die Atypik im Wesentlichen darauf gestützt, dass eine (normale) Kündigung nach den Vertragsbedingungen gar nicht möglich war. Es hat das Urteil des BFH v. 20.9.2016, X R 23/15 (BStBl II 2017, 347) herangezogen. Dort hat der BFH Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten dann als außerordentlich angesehen, wenn die Zahlung nicht dem vertragsgemäßen oder typischen Ablauf der jeweiligen Einkünfteerzielung entsprach (Rz 23). Mit dem aktuellen Urteil ist diese Rechtsprechung überholt. Eine vertragswidrige Kündigung/Aufhebung begründet nicht bereits eine Atypik. Erforderlich ist vielmehr eine wertende Beurteilung unter Heranziehung vergleichbarer Versicherungsverträge.
BFH Urteil vom 06.05.2020 - X R 24/19 (veröffentlicht am 10.12.2020)
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