Der gesetzliche Zinssatz von 6 % pro Jahr ist nicht verfassungswidrig

Hintergrund
Zu entscheiden war, ob der typisierte gesetzliche Zinssatz von 0,5 % pro Monat (= 6 % pro Jahr) für Aussetzungszinsen noch verfassungsgemäß ist.
Eheleute veräußerten im April 2002 eine im November 1996 erworbene Eigentumswohnung. Im ESt-Bescheid 2002 unterwarf das FA den Veräußerungsgewinn von rund 62.000 EUR der ESt. Mit ihrem Einspruch beriefen sich die Eheleute auf die Verfassungswidrigkeit der rückwirkenden Verlängerung der Spekulationsfrist. Auf ihren Antrag gewährte das FA die Aussetzung der Vollziehung (AdV) in Höhe der auf den Veräußerungsgewinn entfallenden Steuer (rund 30.000 EUR).
Nach Ergehen der Entscheidung des BVerfG in 2010, dass die Verlängerung der Spekulationsfrist von 2 auf 10 Jahre teilweise verfassungswidrig und nichtig ist, behandelte das FA nur noch einen Teil (rund 34.000 EUR) des Veräußerungsgewinns als steuerpflichtig und setzte die ESt entsprechend niedriger fest. Die AdV wurde aufgehoben. Für den Zeitraum der AdV (11.11.2004 bis 21.3.2011 = 76 Monate) setzte das FA im März 2011 die strittigen Aussetzungszinsen in der gesetzlichen Höhe (0,5 % pro Monat) mit 6.023 EUR fest.
Die dagegen gerichtete Klage, mit der die Eheleute vortrugen, es habe sich mittlerweile ein Niedrigzinsniveau stabilisiert, wies das FG mit der Begründung ab, dem Gesetzgeber stehe eine gewisse Beobachtungszeit zu, bevor eine Anpassung an geänderte Verhältnisse notwendig werde.
Entscheidung
Auch vor dem BFH war den Eheleuten kein Erfolg beschieden. Der BFH verneint - jedenfalls für den Streitzeitraum bis März 2011 - verfassungsrechtliche Bedenken gegen den typisierten Zinssatz. Er lehnte daher eine Vorlage an das BVerfG ab und wies die Revision zurück.
Zunächst verweist der BFH auf den weitreichenden Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers im Bereich des Steuerrechts. Um das Massenverfahren praktikabel zu handhaben, sind Typisierungen und Vereinfachungen unerlässlich. Zwar lag der Effektivzinssatz für Einlagen privater Haushalte deutlich unter dem gesetzlichen Zinssatz. Für den Vergleich ist jedoch auch der Darlehenszinssatz (Finanzierung von Steuernachzahlungen) heranzuziehen. Bei dem Vergleich mit diesem Zinssatz hält sich der gesetzliche Satz (6 % pro Jahr) noch in einem angemessenen Rahmen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Forderungen des FA regelmäßig nicht besichert sind, sodass der (höhere) Zinssatz für unbesicherte Darlehen heranzuziehen wäre.
Sodann betont der BFH, dass sich der Marktzins erst nach dem streitgegenständlichen Verzinsungszeitraum (März 2011) auf relativ niedrigem Niveau stabilisiert hat. Der BFH hatte daher im Streitfall nicht zu entscheiden, ob sich die wirtschaftlichen Verhältnisse für die Folgezeit so entscheidend geändert haben, dass die gesetzgeberische Entscheidung durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird.
Hinweis
Trotz des zutreffenden Hinweises auf die Typisierungs- und Pauschalierungsbefugnis des Gesetzgebers ist der Entscheidung hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der BFH für die Zeit nach März 2011 von einem entsprechend niedrigen Zinsniveau ausgeht, das die Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelung mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen ernsthaft in Frage stellt. Fälle, die diesen Zeitraum betreffen, sind daher in Erwartung einer großzügigeren Sachbehandlung offen zu halten.
Schließlich weist der BFH noch darauf hin, dass Zinsen aus Billigkeitsgründen erlassen werden können. Darüber hatte der BFH indes nicht zu entscheiden, da es im Streitfall lediglich um die Zinsfestsetzung ging. Die Entscheidung über die Festsetzung der Zinsen und den Erlass durch Zinsverzicht sind jeweils selbständige Steuerverwaltungsakte, die voneinander unabhängig sind. Die Ablehnung des Zinsverzichts muss deshalb selbständig angefochten werden und ist in einem gesonderten Verfahren zu klären (sog. Zweigleisigkeit des Verfahrens).
Urteil v. 1.7.2014, IX R 31/13, veröffentlicht am 24.9.2014
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