Kein Kindergeld beim Besuch einer Missionsschule
Hintergrund: Besuch einer kirchlichen Schule
Die Mutter (M) beantragte Kindergeld für ihren volljährigen Sohn (S). S besuchte für 10 Monate die Josia-Missionsschule in Isny/Allgäu, eine kirchliche Internatsschule. Sie ist eine Einrichtung der Freikirche der Siebenten-Tages-Adventisten in Baden-Württemberg und hat den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Familienkasse lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Ausbildung in der Missionsschule sei keine Berufsausbildung. Im Klageverfahren machte M geltend, S strebe eine berufliche Tätigkeit im sozialen, theologischen oder gesundheitlichen Bereich an. Durch den Besuch der Schule würden auf einen Beruf in diesem Bereich vorbereitende Kenntnisse und Erfahrungen vermittelt. Die religiöse Ausrichtung oder die Formung der Persönlichkeit der Studierenden stehe hingegen nicht im Vordergrund.
Die Klage blieb ohne Erfolg. Das FG ging davon aus, der Schulbesuch diene nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf. Nach den Lernzielen und dem Studienplan stehe die Persönlichkeits- und Charakterbildung i.S. des Leitbilds der Schule im Vordergrund. Die vermittelten Inhalte zielten darauf ab, die Studierenden zu aktiven und wertvollen Mitgliedern der Gemeinde auszubilden. Mehr als 70 % der im Studienplan vorgesehenen Gesamtstundenzahl/Unterrichtsbereiche ständen in keinem Bezug zu einer von S angestrebten beruflichen Tätigkeit.
Entscheidung: Persönlichkeits- und Charakterbildung sind grundsätzlich keine Berufsausbildung
Der BFH wies die Revision zurück. Nach dem vom BFH vertretenen weiten Berufsausbildungsbegriff befindet sich in Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind, und zwar unabhängig davon, ob die Ausbildungsmaßnahmen in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben sind. Der Erwerb der Kenntnisse muss regelmäßig einen konkreten Bezug zu dem angestrebten Beruf aufweisen. Dieser Bezug wird grundsätzlich unterstellt, wenn eine Ausbildung im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Ausbildungsgangs erlernt wird. Entsprechendes gilt für das Erlernen von Fremdsprachen, soweit es mit anerkannten Formen der Berufsausbildung verbunden ist oder von einem theoretisch-systematischen Unterricht von einer gewissen Mindestdauer begleitet wird.
In Zweifelsfällen konkreter Bezug zu dem angestrebten Beruf erforderlich
Der konkrete Bezug zu einem angestrebten Beruf ist in Fällen entscheidend, in denen der Ausbildungscharakter zweifelhaft ist. Das gilt insbesondere bei der Vermittlung oder dem Erwerb von Fähigkeiten, die z.B. auch der Erlangung sozialer oder religiöser Erfahrungen, der Persönlichkeits- und Charakterbildung oder der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl dienen. In diesen Fällen genügen ein gewisser zeitlicher Mindestaufwand und eine ausreichende theoretische Systematisierung nicht. So werden Freiwilligendienste unabhängig von ihrer Ausgestaltung nicht als Berufsausbildung angesehen, da sie in der Regel nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf, sondern der Erlangung sozialer Erfahrungen und der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl dienen (BFH v. 7.4.2011, III R 11/09, BFH/NV 2011, 1325; BFH v. 18.6.2014, III B 19/14, BFH/NV 2014, 1541), es sei denn, der Freiwilligendienst weist so einen engen Bezug zu einem späteren Studium oder einer betrieblichen Ausbildung auf, dass er als Bestandteil der Berufsausbildung angesehen werden kann (BFH v. 9.2.2012, II R 78/09, BFH/NV 2012, 940).
Im Streitfall fehlt der konkrete Bezug zu einem Beruf
Hiervon ausgehend fehlt im Streitfall ein konkreter Bezug zu einer von S angestrebten beruflichen Tätigkeit. Die Lernziele der Missionsschule dienten – nach den Feststellungen des FG - in überwiegendem Umfang der Persönlichkeits- und Charakterbildung i.S. des Leitbilds. Insoweit hatten die für eine spätere Tätigkeit in einem sozialen, theologischen oder gesundheitlichen Beruf vermittelten Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen keine ausschlaggebende Bedeutung. Außerdem hatte der Schulbesuch keinen Abschluss vermittelt, der für eine spätere Tätigkeit innerhalb der Freikirche qualifiziert.
Hinweis: Tatsachenbindung des BFH
Der BFH stellt klar, dass bei Maßnahmen außerhalb eines Ausbildungsgangs oder einer Prüfungsordnung der konkrete Bezug zu einem angestrebten Beruf erforderlich ist. Lernziele wie Persönlichkeits- oder Charakterbildung - auch wenn sie im Berufsleben ebenso wichtig wie die Fachkenntnisse sein können - reichen dafür nicht aus. Dass im Streitfall diese Momente im Vordergrund standen, wurde vom FG anhand der Lernziele und des Studienplans festgestellt. An die Schlussfolgerung des FG, dass damit ein konkreter Bezug zu einer angestrebten beruflichen Tätigkeit fehlte, war der BFH gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Die Entscheidung bekräftigt, dass die Tatsachenbindung auch dann besteht, wenn die Tatsachenwürdigung nicht zwingend, sondern nur möglich ist (z.B. BFH v. 14.7.2004, IX R 56/01, BFH/NV 2005, 37). Die Bindung des BFH wird daher nicht dadurch erschüttert, dass die vom FG festgestellten Tatsachen auch ein anderes Ergebnis gerechtfertigt hätten. Der mit der Revision von M vorgebrachte Einwand, der Schulbesuch habe in erste Linie der Berufsvorbereitung gedient, wurde demzufolge vom BFH zurückgewiesen. Die Entscheidung verdeutlicht, dass es bei unklarem Sachverhalt Sache der Beteiligten ist, in der Tatsacheninstanz vor dem FG die zutreffende Tatsachenwürdigung vorzutragen.
BFH Urteil vom 13.12.2018 - III R 25/18 (veröffentlicht am 27.02.2019)
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