Zur Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit
Hintergrund: Nichtbeachtung der durch das Risikomanagement gegebenen Hinweise
Die Eheleute heirateten in 2010. In der auf amtlichem Vordruck eingereichten ESt-Erklärung gaben sie u.a. Einkünfte des Ehemanns aus selbständiger Arbeit von 129.000 EUR an. Beim Einscannen der Erklärung durch das FA wurde die Anlage S versehentlich nicht mit eingescannt, so dass die Erfassung der Einkünfte des Ehemanns unterblieb.
Nach der maschinellen Prüfung der eingescannten Daten gingen im Veranlagungsbezirk verschiedene Prüf- und Risikohinweise ein, die den Fall (wegen der erstmaligen Zusammenveranlagung) als risikobehaftet werteten. Der Fall sei personell zu prüfen.
Die Sachbearbeiterin und der Sachgebietsleiter arbeiteten die Hinweise ab und versahen sie mit Vermerken und Haken. Gleichwohl blieben die Einkünfte des Ehemanns aus selbstständiger Arbeit im Bescheid unberücksichtigt. Das wurde erst bei der Bearbeitung des Folgejahrs festgestellt. Das FA erließ darauf nach § 129 Satz 1 AO einen entsprechenden Änderungsbescheid.
Die dagegen erhobene Klage wies das FG mit der Begründung ab, die Bearbeitung der Hinweise habe nicht zu einer neuen Willensbildung geführt, sondern lediglich den beim Einscannen unterlaufenen Fehler perpetuiert.
Entscheidung: Keine offenbare Unrichtigkeit bei Nichtbeachtung eines Prüfhinweises
Offenbare Unrichtigkeiten, die jederzeit nach § 129 Satz 1 AO berichtigt werden können, sind mechanische Fehler (z.B. Schreib- und Rechenfehler, Eingabe- oder Übertragungsfehler), die ebenso mechanisch (ohne weitere Prüfung) erkannt werden. Nicht zu den offenbaren Unrichtigkeiten zählen dagegen Fehler bei der Anwendung einer Rechtsnorm (z.B. Auslegungsfehler, unrichtige Tatsachenwürdigung, unzutreffende Annahme eines nicht vorliegenden Sachverhalts). Dabei ist § 129 AO schon dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache auf einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler gründet oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteil v. 17.5.2017, X R 45/16, BFH/NV 2018, 10).
Keine Berichtigung bei Rechtsfehlern
Ist eine Tatsache fehlerhaft unberücksichtigt geblieben, ist somit grundsätzlich zu unterscheiden:
- Bei einer unterlassenen oder unrichtigen Tatsachenaufklärung liegt ein Rechtsfehler (Rechtsirrtum, Denkfehler) vor, der eine Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO ausschließt.
- Wird dagegen ein Sachverhaltsteil aus Unachtsamkeit nicht berücksichtigt (übersehen), handelt es sich um ein mechanisches Versehen, das eine Korrektur wegen offenbarter Unrichtigkeit eröffnet.
- Offenbar ist eine Unrichtigkeit, wenn sie klar auf der Hand liegt, d.h. bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden objektiven Dritten klar und deutlich erkennbar ist (BFH, Urteil v. 17.6.2004, IV R 9/02, BFH/NV 2004, 1505).
Unterlassene Sachaufklärung trotz eines Prüfhinweises schließt eine Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO aus
Das Übersehen eines Prüfhinweises oder auch eine besonders oberflächliche Behandlung durch das FA – unabhängig von Verschuldenserwägungen – ermöglicht somit eine Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO nur dann, wenn die Prüfung nicht zu einer neuen Willensbildung des Veranlagungsbeamten im Tatsachen- oder Rechtsbereich geführt hat (BFH, Urteil v. 28.5.2015, VI R 63/13, BFH/NV 2015, 1078). Bleibt etwa ein Prüfhinweis unbeachtet, perpetuiert sich lediglich der Eingabefehler des Sachbearbeiters.
Anders ist es jedoch, wenn sich dem Sachbearbeiter aufgrund von Prüfhinweisen Zweifel an der Richtigkeit seiner Eingabe aufdrängen mussten und er trotz dieser Zweifel eine weitere Sachverhaltsaufklärung unterlässt (BFH, Urteil v. 16.1.2018, VI R 38/16, BFH/NV 2018, 513). Denn auch bei einem Risikomanagementsystems bleibt das FA zur Sachverhaltsermittlung verpflichtet (§ 88 Abs. 1 AO).
Eine offenbare Unrichtigkeit liegt jedenfalls nicht mehr vor, wenn eine weitere Sachverhaltsermittlung unterbleibt, obwohl aufgrund der Prüf- und Risikohinweise sich eine weitere Prüfung des Falles hätte aufdrängen müssen.
Überlagerung des ursprünglich mechanischen Versehens
Hiervon ausgehend konnte der Bescheid nicht nach § 129 Satz 1 AO berichtigt werden. Dass beim Erfassen der ESt-Erklärung die Anlage S nicht mit eingescannt wurde, stellt zwar ein offenbares mechanisches Versehen dar. Dieses wurde jedoch durch den anschließenden Fehler in Sachverhaltsermittlung überlagert (rechtlicher Fehler).
Die Nichtberücksichtigung der selbständigen Einkünfte des Ehemanns beruht darauf, dass der Sachverhalt insoweit nicht aufgeklärt wurde, obgleich aufgrund der Hinweise Zweifel an der Richtigkeit dieser Einkünfte bestanden und daher eine weitere Sachaufklärung geboten gewesen wäre. Damit beruht der Fehler auf einer unzureichenden Sachverhaltsaufklärung, die als Rechtsfehler (Fehler in der Rechtsanwendung) eine spätere Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO ausschließt.
Hinweis: Nachweispflicht des FA
Die Nachweispflicht für die Berichtigungsvoraussetzungen nach § 129 AO liegt beim FA. Nur wenn der Sachbearbeiter einen Prüfhinweis - aus Unachtsamkeit oder Oberflächlichkeit – übersehen hat, ist die Berichtigung nach § 129 AO eröffnet. Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Prüfhinweis zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht ausgewertet wurde, d.h. dass aus ihm die rechtlich gebotenen Folgerungen nicht gezogen wurden. Dann liegt der Fehler im Bereich der notwendigen Sachverhaltsermittlung (also in der Rechtsanwendung), wenn sich eine weitere Prüfung hätte aufdrängen müssen. Für die Abgrenzung der Fälle ist auf die Einzelumstände – insbesondere auch auf die Bearbeitungsvermerke in den Akten – abzustellen.
BFH Urteil vom 14.01.2020 - VIII R 4/17 (veröffentlicht am 28.05.2020)
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