Kürzung der Verpflegungspauschalen auch bei Arbeitnehmern ohne erste Tätigkeitsstätte
Hintergrund: Mahlzeitengestellung an Arbeitnehmer ohne erste Tätigkeitsstätte
A war in 2014 mehrere Monate als Offizier auf Schiffen tätig. An Bord stellte ihm der Arbeitgeber unentgeltlich Mahlzeiten zur Verfügung. An "Hafentagen" nahm A die zur Verfügung gestellte Bordverpflegung teilweise nicht in Anspruch. An einzelnen Tagen (geschätzt 10 Tage) musste sich die Mannschaft im Hafen selbst versorgen.
Der Arbeitgeber behandelte den Sachbezug (Mahlzeitengestellung) als steuerfrei.
A machte für die Zeit, in der er auf See tätig war (169 Tage), Verpflegungsmehraufwand von 24 EUR täglich geltend. Das FA lehnte dies unter Hinweis auf die Kürzungsregelung in § 9 Abs. 4a Satz 8 EStG ab.
Das FG gab der Klage zu einem geringen Teil statt. Es anerkannte die Verpflegungspauschale nur für die 10 Tage, an denen der Arbeitgeber ausnahmsweise keine Mahlzeiten zur Verfügung gestellt hatte und A sich im Hafen selbst versorgen musste. Auch bei Arbeitnehmern ohne erste Tätigkeitsstätte sei eine Kürzung der Pauschalen vorzunehmen.
Entscheidung: Kürzung der Verpflegungspauschale um 100% auf 0 EUR
Der BFH bestätigte das FG-Urteil und wies die Revision des A zurück. A steht – auch wenn er nicht über eine erste Tätigkeitsstätte verfügte – für die Tage der Mahlzeitengestellung keine Verpflegungspauschale zu.
Die Abzugsvoraussetzungen sind zwar dem Grunde nach erfüllt
Wird der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig (auswärtige berufliche Tätigkeit), steht ihm zur Abgeltung seiner Mehraufwendungen die nach Abwesenheitszeiten gestaffelte Verpflegungspauschale zu (§ 9 Abs. 4a Sätze 2, 3 EStG).
Hat der Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte, gelten die Sätze 2 und 3 entsprechend (§ 9 Abs. 4a Satz 4 Halbsatz 1 EStG). Denn liegen die Voraussetzungen einer ersten Tätigkeitsstätte (i.S.v. § 9 Abs. 4 EStG) nicht vor und ist der Arbeitnehmer gleichwohl außerhalb seiner Wohnung beruflich tätig, befindet er sich ebenfalls auf Auswärtstätigkeit. Dementsprechend steht A dem Grunde nach die Verpflegungspauschale zu. Er hatte zwar als auf See tätiger Offizier keine erste Tätigkeitsstätte. Denn ein Schiff stellt keine ortsfeste Einrichtung i.S.v. § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG dar. Jedoch gelten nach § 9 Abs. 4a Satz 4 Halbsatz 1 EStG die Sätze 2 und 3 für Auswärtstätigkeiten ohne erste Tätigkeitsstätte entsprechend.
Die Verpflegungspauschale ist jedoch zu kürzen
Die Verpflegungspauschale ist nach § 9 Abs. 4a Satz 8 EStG im Hinblick auf die vom Arbeitgeber des A zur Verfügung gestellten Mahlzeiten an Bord zu kürzen. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut. Satz 8 ist als Modifikation der Sätze 2 und 3 ausgestaltet. Die Geltungsanordnung in § 9 Abs. 4 Satz 4 Halbsatz 1 EStG erstreckt sich damit für den Arbeitnehmer, der keine erste Tätigkeitsstätte hat, nicht nur auf die entsprechende Anwendung der Verpflegungspauschalen des Arbeitnehmers, der außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte tätig wird, sondern zugleich auf die entsprechende Anwendung der Modifikation dieser Verpflegungspauschalen nach Satz 8, soweit ihm eine Mahlzeit zur Verfügung gestellt wird.
Die Kürzung entspricht dem Sinn und Zweck sowie der Systematik des Gesetzes
Die Neuregelung des Reisekostenrechts ab 2014 bezweckt eine Vereinfachung gegenüber der früheren Rechtslage: Einerseits Verzicht auf die Besteuerung des geldwerten Vorteils bei Mahlzeitengestellung, andererseits gleichzeitige Kürzung des Werbungskostenabzugs. Dabei wird typisierend davon ausgegangen, dass dem Arbeitnehmer für seine Verpflegung keine Mehraufwendungen entstehen. Dementsprechend werden die Verpflegungspauschalen (anteilig) gekürzt (BFH v. 7.7.2020, VI R 16/18, BStBl II 2020, 783). Mit der Neuregelung sollte der Werbungskostenabzug für Verpflegungsmehraufwendungen bei Mahlzeitengestellung durch den Arbeitgeber für jede Form der auswärtigen beruflichen Tätigkeit entfallen.
Hinweis: Sachgerechte Gleichstellung von Arbeitnehmern mit und ohne erste Tätigkeitsstätte
Der BFH bekräftigt seine Rechtsprechung, nach der für die Zurverfügungstellung einer Mahlzeit durch den Arbeitgeber (oder auf dessen Veranlassung durch einen Dritten) nicht erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer die Mahlzeit tatsächlich einnimmt (BFH v. 07.07.2020, VI R 16/18, BStBl II 2020, 783, Rz 15 ff.). Aus welchen Gründen der Arbeitnehmer eine ihm von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Mahlzeit nicht einnimmt, ist nicht erheblich.
Der Prozess wurde als Musterverfahren geführt. Nach der Problematik zur Nichteinnahme der zur Verfügung gestellten Mahlzeit (BFH v. 7.7.2020, VI R 16/18, BStBl II 2020, 783) hat der BFH nunmehr auch die Frage der Kürzung der Pauschalen bei fehlender erster Tätigkeitsstätte geklärt. Dadurch wird eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern mit und ohne erste Tätigkeitsstätte verhindert bzw. eine doppelte Begünstigung von Arbeitnehmern ohne erste Tätigkeitsstätte durch eine unversteuerte Mahlzeit einerseits und den gleichwohl bestehenden Werbungskostenabzug andererseits ausgeschlossen.
Bis 2013 wurde der Vorteil aus der kostenlosen Bordverpflegung mit den Sachbezugswerten als Arbeitslohn besteuert. Im Gegenzug konnten die Seeleute die entsprechenden (höheren) Verpflegungspauschalen geltend machen, was zu erheblichen Steuerentlastungen führen konnte.
BFH Urteil vom 12.07.2021 - VI R 27/19 (veröffentlicht am 02.09.2021)
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