Erste Tätigkeitsstätte bei einem befristeten Beschäftigungsverhältnis
Hintergrund: Zuordnung zu einer anderen Tätigkeitsstätte im Rahmen eines befristeten Leiharbeitsverhältnisses
A war seit 2012 bei einer GmbH (Verleiher) als Helfer beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag konnte er bundesweit eingesetzt werden. Er war damit einverstanden, anderen Firmen zur Arbeitsleistung überlassen zu werden. Der Verleiher behielt sich vor, aus betrieblichen Gründen Umsetzungen und Versetzungen vorzunehmen. Das Leiharbeitsverhältnis war zunächst bis 30.11.2012 befristet und wurde mehrfach - zuletzt bis Mai 2015 - um mehrere Monate verlängert. Bis Oktober 2012 war A bei einer AG (Entleiher) im Werk Y eingesetzt. Auf schriftliche Weisung des Verleihers war er anschließend für die AG im Werk X tätig. Im Mai 2015 erhielt er bei der AG eine Festanstellung. Im Streitjahr 2014 wurde A ausschließlich bei der AG im Werk X eingesetzt.
Das FA nimmt dauerhafte Zuordnung zum Entleihbetrieb an
A beantragte für 2014 die Berücksichtigung seiner Fahrtkosten zur AG (Entleiher) als Reisekosten im Rahmen einer Auswärtstätigkeit mit 0,30 EUR je gefahrenem km. Das FA setzte lediglich die Entfernungspauschale (0,30 EUR je Entfernungs-km) ab. Es ging davon aus, es liege keine Auswärtstätigkeit vor, da A dem Entleihbetrieb dauerhaft zugeordnet gewesen sei. Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, in der Anweisung des Verleihers, "bis auf Weiteres" für die AG im Werk X tätig zu sein, liege keine dauerhafte Zuordnung zu diesem Entleihbetrieb.
Entscheidung: Keine Zuordnung für die Dauer des Arbeitsverhältnisses
Mit dem ab 2014 geltenden neuen Reisekostenrecht ist der in § 9 Abs. 4 Satz 1 definierte Begriff der "ersten Tätigkeitsstätte" an die Stelle des bisherigen Rechtsbegriffs der "regelmäßigen Arbeitsstätte" getreten (Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts v. 20.2.2013, BGBl 2013, 285). Erste Tätigkeitsstätte ist danach die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Die Zuordnung wird durch die arbeitsrechtlichen Festlegungen und Weisungen bestimmt. Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte zugeordnet, kommt es – entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage – auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit des Arbeitnehmers nicht mehr an.
Voraussetzungen einer dauerhaften Zuordnung
Nach den Regelbeispielen in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG ist von einer dauerhaften Zuordnung auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet (Alt. 1), für die Dauer des Dienstverhältnisses (Alt. 2) oder über 48 Monate hinaus (Alt. 3) an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Fehlt eine eindeutige Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte, ist nach § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG eine erste Tätigkeitsstätte die Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll oder je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll. Im Streitfall liegt weder eine unbefristete Zuordnung (Alt. 1) vor noch kommt die Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses (Alt. 2) in Betracht.
- Eine Zuordnung ist unbefristet, wenn die Dauer nicht kalendermäßig oder auf andere Art bestimmt ist. Ist jedoch das Arbeitsverhältnis seinerseits befristet (hier das Arbeitsverhältnis zu dem Entleiher), kommt eine unbefristete Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses nicht in Betracht. Eine von § 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 1 EStG vorausgesetzte unbefristete Tätigkeit ist dann ausgeschlossen.
- Eine Zuordnung nach § 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 EStG für die Dauer des Arbeitsverhältnisses liegt vor, wenn sie für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses Bestand haben soll. War der Arbeitnehmer allerdings im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses bereits einer ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet und wird er später einer anderen Tätigkeitsstätte zugeordnet, erfolgt diese zweite Zuordnung nicht mehr "für die Dauer des Arbeitsverhältnisses". Denn für die zweite Zuordnung steht fest, dass sie nicht, wie nach § 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 EStG vorausgesetzt, für die (gesamte) Dauer des Dienstverhältnisses gilt, sondern lediglich für die Dauer des verbleibenden Arbeits- oder Dienstverhältnisses.
Hiervon ausgehend verfügte A nicht über eine erste Tätigkeitsstätte. Die Revision des FA wurde daher zurückgewiesen. A war zwar dem Werk X zugeordnet. Diese Zuordnung war aber nicht dauerhaft:
- Die Annahme einer unbefristeten Zuordnung i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 1 EStG kommt nicht in Betracht, da das Arbeitsverhältnis, in dessen Rahmen die Zuordnung zu dem Werk X erfolgte, seinerseits befristet war.
- A war dem Werk X aufgrund seiner ursprünglichen Zuordnung zu dem Werk Y auch nicht für die Dauer seines befristeten Beschäftigungsverhältnisses (§ 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 EStG) zugeordnet. Er wurde vielmehr während seines einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses nacheinander zwei verschiedenen Tätigkeitsstätten zugeordnet. Damit war es ausgeschlossen, dass er der zweiten Tätigkeitsstätte "für die Dauer des Dienstverhältnisses" zugeordnet werden konnte.
- Anders wäre es nur, wenn jede Verlängerung der Befristung zugleich ein neues Beschäftigungsverhältnis darstellen würde und sich die Zuordnung mit der Dauer des Dienstverhältnisses decken würde.
Hinweis: Regelmäßig keine erste Tätigkeitsstätte bei befristetem Leiharbeitsverhältnis
Bei einem befristeten Leiharbeitsverhältnis scheidet somit häufig eine erste Tätigkeitsstätte mangels entsprechender Zuordnung aus. Sie ist aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Insbesondere steht der auf dem Direktionsrecht des Arbeitgebers beruhende Vorbehalt der jederzeitigen Umsetzung oder Versetzung im Arbeitsvertrag einer dauerhaften Zuordnung an sich nicht entgegen. Eine (dauerhafte) Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 EStG liegt aber nur vor, wenn für jede neue Zuordnung ein neues Arbeitsverhältnis abgeschlossen wird. Das ist allerdings bei einer bloßen Verlängerung des bisherigen befristeten Arbeitsverhältnisses nicht der Fall. Mit dem teilweise inhaltsgleichen Urteil vom 11.04.2019 - VI R 36/16, hat der BFH zum Fall eines Hafenarbeiters, der regelmäßig auf einen Tag befristet beschäftigt wurde, entschieden, dass aufgrund der Zuordnung für jeweils einen Tag dauerhafte Zuordnungen i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 EStG und damit jeweils erste Tätigkeitsstätten vorliegen können.
BFH Urteil vom 10.04.2019 - VI R 6/17 (veröffentlicht am 18.07.2019)
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