Pflegefreibetrag bei der ErbSt für gesetzlich unterhaltsverpflichtete Personen
Hintergrund: Langjährige Pflege der Mutter
Die Tochter T ist zu 1/2 Miterbin ihrer in 2012 verstorbenen Mutter M. Zum Nachlass gehörten neben Grundvermögen Bankguthaben i. H. v. rund 800.000 EUR. M war 2001 pflegebedürftig geworden. Sie war in ein Wachkoma gefallen, konnte nicht mehr sprechen und musste über eine Magensonde ernährt werden. T hatte sie in 2001 in ihr Haus aufgenommen und auf eigene Kosten die Pflege übernommen. Die Pflegekasse hatte der M Pflegegeld nach Pflegestufe III gewährt.
Bei der Festsetzung der ErbSt verweigerte das FA den Pflegefreibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG von 20.000 EUR. Denn T sei gegenüber M aufgrund ihrer Unterhaltspflicht gesetzlich zur Pflege verpflichtet gewesen und daher nicht unentgeltlich oder gegen zu geringes Entgelt tätig geworden. Der dagegen erhobenen Klage gab das FG mit der Begründung statt, aufgrund des umfangreichen Vermögens der M sei T dieser gegenüber gar nicht unterhaltspflichtig gewesen.
Entscheidung: Sorge für eine hilfsbedürftige Person ...
Der BFH vertritt – im Ergebnis wie das FG – eine großzügigere Auffassung als das FA und wies dessen Revision zurück. Der Pflegefreibetrag steht Personen zu, die dem Erblasser (oder Schenker) unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt Pflege oder Unterhalt gewährt haben, soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt anzusehen ist. Der Begriff "Pflege gewähren" in § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG ist grundsätzlich weit auszulegen. Es reicht aus, dass die Pflege des Erblassers durch seine Hilfsbedürftigkeit veranlasst war. Zu den Pflegeleistungen zählen die Hilfe bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung. Voraussetzung ist dabei stets, dass die Leistungen regelmäßig und über eine längere Dauer erbracht werden und im allgemeinen Verkehr einen Geldwert haben. Die Pflege muss unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt geleistet worden sein und das Zugewendete muss als angemessenes Entgelt für die Pflege anzusehen sein.
... auch bei gesetzlicher Unterhaltspflicht
Die Zuwendung kann auch dann ein angemessenes Entgelt für die gewährte Pflege sein, wenn der Erbe nach Zivilrecht gegenüber dem Erblasser unterhaltspflichtig ist. Unterhaltspflichtig sind Verwandte in gerader Linie (§§ 1601 ff. BGB). Entgegen der Auffassung des FA steht eine gesetzliche Unterhaltspflicht der Gewährung des Pflegefreibetrags nicht entgegen. Denn aus der Verpflichtung zum Unterhalt gegenüber Verwandten in gerader Linie folgt nicht eine generelle Verpflichtung zur persönlichen Pflege. Der Unterhaltspflichtige schuldet – mit Ausnahme minderjährigen Kindern gegenüber (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB) – nur den Barunterhalt zur Deckung des Lebensbedarfs (§ 1610 Abs. 2, § 1612 Abs. 1 Satz 2 BGB). Kinder sind daher gegenüber ihren Eltern grundsätzlich nicht zur Erbringung einer persönlichen Pflegeleistung verpflichtet. Es besteht somit kein gesetzlicher Anspruch, der der Entgeltlichkeit der Pflege entgegenstehen könnte.
Ebenso hindert die Pflicht zu Beistand und Rücksicht zwischen Kindern und Eltern (§ 1618a BGB) nicht die Gewährung des Freibetrags. Die Vorschrift statuiert das Prinzip der familiären Solidarität, das die Familienmitglieder in allen Lebenslagen zu Unterstützungs- und Hilfeleistungen verpflichtet. Es handelt sich hierbei jedoch um eine nicht sanktionsbewehrte Regelung. Ihre Verletzung bleibt ohne Rechtsfolgen. Im Bereich der Pflegeleistungen ergibt sich daraus jedenfalls kein klagbarer Anspruch, der die Entgeltlichkeit der Pflegeleistungen in Frage stellen könnte.
Diese weite Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG entspricht nicht nur dem Wortlaut, sondern auch Sinn und Zweck der Vorschrift. Mit der Erhöhung des Freibetrags durch das ErbSt-Reformgesetz 2009 von 5.200 EUR auf 20.000 EUR sollte die steuerliche Berücksichtigung von Pflegeleistungen verbessert werden. Eine restriktive Auslegung durch den Ausschluss unterhaltspflichtiger naher Angehöriger von der Freibetragsregelung ist nicht geboten.
Hinweis: Abweichung von den ErbSt-Richtlinien
Der BFH widerspricht damit der Verwaltungsregelung in Abschnitt 13.5 Abs. 1 Satz 2 der ErbSt-Richtlinien 2011 und dem überwiegenden Schrifttum. Nach deren Auffassung kommt der Freibetrag nicht bei Erwerbern (Erben, Beschenkten) in Betracht, die gesetzlich zur Pflege (z. B. Ehegatten nach § 1353 BGB, Lebenspartner nach § 2 LPartG) oder zum Unterhalt (z. B. Ehegatten nach § 1360 BGB oder Verwandte in gerader Linie nach § 1601 BGB, Lebenspartner nach § 5 LPartG) verpflichtet sind (ebenso z. B. Sächsisches Landesamt für Steuern und Finanzen, Schreiben v. 25.4.2017, 213-S 3812/1/3-2017/9766).
Der BFH weist daraufhin, dass der Begriff der Pflege nicht eine Pflegebedürftigkeit i. S. d. Sozialrechts und nicht die Zuordnung einer Pflegstufe (ab 2017: Pflegegrad) voraussetzt, sondern weiter gefasst ist i. S. d. Hilfsbedürftigkeit. Ergänzend hebt der BFH die Nachweispflicht des Erwerbers hinsichtlich der Hilfsbedürftigkeit des Erblassers sowie Art, Dauer, Umfang und Wert der tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen hervor. Wegen der in diesem Bereich bestehenden Nachweisschwierigkeiten sind allerdings keine übersteigerten Anforderungen an die Darlegung und Glaubhaftmachung zu stellen. Der BFH befürwortet einen großzügigen Maßstab. Zur Ermittlung des Werts der erbrachten Pflegeleistungen kann auf die üblichen Vergütungssätze zurückgegriffen werden. Bei langjähriger umfassender Pflege kann der Freibetrag auch ohne Einzelnachweis gewährt werden.
Wegen der Häufigkeit derartiger Fälle kommt der Entscheidung in der Praxis weitreichende Bedeutung zu. Die Gewährung des Freibetrags unabhängig von der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung entspricht dem Zweck, ein freiwilliges Opfer der pflegenden Person zu honorieren. Der Freibetrag steht deshalb auch dann zu, wenn der Erblasser aufgrund eigenen Vermögens nicht unterhaltsberechtigt war.
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