Rückwirkende Verschmelzung auf den Alleingesellschafter
Hintergrund: Übertragungsstichtag vor dem Tod des Gesellschafters
Streitig war die Höhe des zugerechneten Übernahmegewinns aufgrund der Verschmelzung einer GmbH im Wege der Aufnahme.
A war zunächst mit 48% an der GmbH beteiligt. Die weiteren 52% hielt sein Vater (V). Am 15.9.2005 verstarb V. A erhielt vermächtnisweise auch dessen GmbH-Anteile und ist seitdem Alleingesellschafter der GmbH.
Im Juni 2006 wurde die GmbH mit dem Vermögen des A als ihres nunmehrigen Alleingesellschafters verschmolzen. Als steuerlicher Übertragungsstichtag wurde der 1.9.2005 – also ein Zeitpunkt vor dem Tod des V – bestimmt. Auf diesen Tag stellte die GmbH eine Schlussbilanz auf.
A ermittelte für 2005 einen (nach § 4 Abs. 4 UmwStG i.V.m. § 3 Nr. 40 EStG a.F. zur Hälfte zu versteuernden) Übernahmegewinn. Den hälftigen Übernahmegewinn rechnete er entsprechend den am Übertragungsstichtag (also vor dem Tod des F) bestehenden Beteiligungsverhältnissen an der GmbH zu 52% V und nur zu 48% sich selbst zu. Das FA vertrat dagegen die Auffassung, der gesamte hälftige Übernahmegewinn sei allein A zuzurechnen.
Entscheidung: Kein rückwirkendes Entstehen eines Übernahmegewinns bei einem verstorbenen Gesellschafter
Der BFH wies die Revision zurück. Aus § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG kann nicht abgeleitet werden, eine erst nach dem Todestag eines früheren Gesellschafters der Kapitalgesellschaft beschlossene Verschmelzung löse bei dem verstorbenen Gesellschafter rückwirkend das Entstehen eines Übernahmegewinns aus.
Wortlautbezogene Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG
Das Vermögen der GmbH ist zivilrechtlich erst mit der Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister auf A übergegangen (BFH v. 24.4.2008, IV R 69/05, BFH/NV 2008, 1550). Ertragsteuerrechtlich eröffnet § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 2002 eine begrenzte Rückwirkung auf die handelsrechtliche Schlussbilanz (steuerlicher Übertragungsstichtag). Die Regelung betrifft nach dem Wortlaut allerdings allein die Einkommensermittlung "der übertragenden Körperschaft sowie der Übernehmerin". I
m Streitfall ist die Rückwirkung somit ausschließlich in Bezug auf die GmbH und A als Übernehmer angeordnet. Frühere Gesellschafter der übertragenden Körperschaft sind nicht erwähnt. § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 2002 kann daher nicht als Rechtsgrundlage für die Rückwirkung der Verschmelzung auch auf die Ermittlung des Einkommens zwischenzeitlich verstorbener Gesellschafter herangezogen werden. Der BFH schließt sich damit der Auffassung der Verwaltung (UmwSt-Erlass Rz 02.17 und 05.02) sowie der allgemeinen Schrifttumsmeinung an (Frotscher/Drüen, KStG, GewStG, UmwStG, § 2 UmwStG Rz 37).
Zurechnung des gesamten (hälftigen) Übernahmegewinns
Dass auch der weitere Anteil im Umfang von 52% des Stammkapitals, der bis zum Erbfall dem V zuzurechnen war, in die Ermittlung des Übernahmeergebnisses des A einzubeziehen ist, ergibt sich aus § 5 Abs. 2 UmwStG. Danach gelten Anteile an der übertragenden Körperschaft i.S. des § 17 EStG, die am steuerlichen Übertragungsstichtag nicht zu einem Betriebsvermögen eines unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafters der übernehmenden Personengesellschaft (hier gemäß § 9 Abs. 1 UmwStG: der übernehmenden natürlichen Person) gehören, für die Ermittlung des Gewinns als an diesem Stichtag in das Betriebsvermögen der Personengesellschaft (der übernehmenden natürlichen Person) mit den Anschaffungskosten eingelegt.
Die Rückwirkung umfasst die Anteile des Altgesellschafters
Der Wortlaut der Norm ist im Streitfall erfüllt. Die Anteile an der GmbH, die bis zum Erbfall dem V zuzurechnen waren, fielen unter § 17 EStG. Sie gehörten am steuerlichen Übertragungsstichtag nicht zu einem Betriebsvermögen des unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen A. Der Wortlaut erfasst somit "zwanglos" auch solche Anteile, die der übernehmenden natürlichen Person am steuerlichen Übertragungsstichtag noch gar nicht gehörten.
Einklang mit der Gesetzessystematik
Dieses Ergebnis entspricht der gesetzlichen Systematik. Es vermeidet rückwirkende Steuerbelastungen von Personen, die an dem Vermögensübergang gar nicht beteiligt sind und weder diesen noch den vorangegangenen Übergang der Anteile beeinflussen konnten. A hat sich als Alleingesellschafter zu der Verschmelzung entschlossen. Dadurch hat er den Besteuerungstatbestand des § 4 Abs. 4 UmwStG allein verwirklicht. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass die einkommensteuerrechtlichen Folgen dieser Entscheidung auch noch von einer dritten Person zu tragen sein sollten.
Hinweis: Kein gesondertes Feststellungsverfahren
A hatte noch geltend gemacht, der Streit über die Zurechnung des Übernahmegewinns könne nur im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung entschieden werden. Denn er, A, habe zusammen mit seinem Bruder (B), dessen Anteile er übernommen hatte, eine Mitunternehmerschaft gebildet. Das FG habe, da es das Ergebnis eines solchen Feststellungsverfahrens nicht abgewartet habe, gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoßen. Dem entgegnet der BFH, für die Richtigkeit der Auffassung, auch B sei als "Übernehmerin" (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG) des Vermögens der GmbH anzusehen, so dass er mit A eine Mitunternehmerschaft gebildet habe, sei nichts ersichtlich.
BFH Urteil vom 08.09.2020 - X R 36/18 (veröffentlicht am 18.02.2021)
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