Verkauf einer 30 %-Kapitalbeteiligung als Geschäftsveräußerung im Ganzen
Hintergrund:
Die Klägerin, eine X BV war 1996 im Besitz von 30 % der Anteile an einer A BV. Die übrigen Anteile an der A BV wurden von einer B Holding (20,01 %), einer XI BV (30 %) und einer C BV (19,99 %) gehalten. 1996 war die Klägerin – ebenso wie die so genannten Managementgesellschaften von B Holding und XI BV – gegen eine vereinbarte Vergütung als Managerin der A BV tätig. Die Klägerin war Mitglied des so genannten Management Board (Verwaltungsrat) der A BV. Ende 1996 veräußerten sämtliche Anteilseigner der A BV, einschließlich der Klägerin, ihre Anteile an eine Gesellschaft D. In diesem Zusammenhang wurden die Managementtätigkeiten für die A BV beendet und die Klägerin verließ das Management Board der A BV.
Die Klägerin hatte im Zusammenhang mit dem Verkauf der Anteile verschiedene Dienstleistungen bezogen und machte diesbezüglich den Vorsteuerabzug geltend. Die niederländische Finanzbehörde verweigerte den Vorsteuerabzug, wohingegen das erstinstanzliche Gericht entschieden hatte, dass der Verkauf und die Übertragung der Anteile an der A BV keine wirtschaftliche Tätigkeit gewesen sei. Der Vorsteuerabzug stehe der Klägerin jedoch zu, da der Verkauf und die Übertragung der Anteile mit den Umsätzen der Klägerin als Unternehmer zusammengehangen hätten.
Da die Klägerin durch ihre Tätigkeit als Managerin der A BV an deren Geschäftsführung beteiligt war und hierfür eine Vergütung erhielt, folgte für das Vorlagegericht aus dem EuGH, Urteil v. 29.10.2009, C-29/08 (SKF), dass es sich bei der streitgegenständlichen Veräußerung von 30 % der Anteile an der A BV, die im Zusammenhang mit der Beendigung der Managementtätigkeit stattgefunden hat, um eine wirtschaftliche Tätigkeit i. S. v. Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 und 2 der 6. EG-Richtlinie handelte. Diese Veräußerung stellte für das Vorlagegericht grundsätzlich – entgegen der Auffassung des vorinstanzlichen Gerichts – einen steuerbaren Umsatz dar. Aus Nr. 2 des Tenors des EuGH, Urteils SKF folge, dass eine solche Veräußerung von Anteilen gemäß Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 5 der 6. EG-Richtlinie steuerfrei ist. Im Urteil SKF habe der EuGH jedoch darauf hingewiesen, dass eine Veräußerung von Anteilen, die als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen ist, nicht der MwSt unterliege, sofern diese Veräußerung der Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens gleichgestellt werden kann und ein Mitgliedstaat von der in Art. 5 Abs. 8 Satz 1 der 6. EG-Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, eine solche Übertragung als nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen anzusehen. Auch die Klägerin war der Auffassung, dass der Anteilsverkauf eine nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen gewesen sei.
Der EuGH musste prüfen, ob der vollständige Verkauf eines Anteilspakets (hier 30 %) ohne weiteres als Übertragung eines Teilvermögens eines Unternehmens i. S. v. Art. 5 Abs. 8 bzw. Art. 6 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie mit der Folge der Nichtsteuerbarkeit einer solchen Übertragung angesehen werden kann.
Gleichzeitig mit der Klägerin hatten auch die übrigen Anteilseigner ihre Anteile an der A BV auf die D übertragen. Der EuGH musste daher prüfen, ob es sich bei dem Anteilsverkauf gleichwohl um die Übertragung eines Vermögens eines Unternehmens i. S. d. Urteils SKF handelte, wenn die Anteile (sämtliche Anteile an einer Tochtergesellschaft) von unterschiedlichen Personen auf ein und denselben Erwerber übertragen werden.
Schließlich musste der EuGH prüfen, ob in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahren, in dem keine Aktiva oder Passiva des über die Kapitalbeteiligung gehaltenen Unternehmens übertragen werden, gleichwohl eine Geschäftsveräußerung im Ganzen vorliegen kann.
Entscheidung:
Der EuGH verweist auf seine bisherige Rechtsprechung zur Geschäftsveräußerung im Ganzen. Danach muss insbesondere die Gesamtheit der übertragenen Vermögensbestandteile die Fortführung einer selbständigen wirtschaftlichen (unternehmerischen) Tätigkeit ermöglichen. Dazu stellt er für den Ausgangsfall fest, dass die Inhaberschaft von Kapitalanteilen an einem Unternehmen im Gegensatz zur Inhaberschaft von Vermögenswerten dieses Unternehmens nicht ausreicht, eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortführen zu können. Hierzu verweist er auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach der bloße Erwerb, das bloße Halten und der bloße Verkauf von Gesellschaftsanteilen für sich genommen keine wirtschaftliche Tätigkeit i. S. d. 6. EG-Richtlinie darstellt, da der bloße Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen keine Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen verkörpert. Eine etwaige Gewinnausschüttung als Folge dieser Beteiligung ist Ausfluss der bloßen Innehabung des Gegenstands. Etwas anderes gilt nach der bisherigen EuGH-Rechtsprechung jedoch, wenn die Beteiligung mit unmittelbaren oder mittelbaren Eingriffen in die Verwaltung der Gesellschaft einhergeht, an der die Beteiligung erworben worden ist, wenn die Eingriffe die Durchführung von Transaktionen einschließen, die der MwSt unterliegen, wie etwa administrative, finanzielle, kaufmännische und technische Dienstleistungen.
Für den Ausgangsfall schließt der EuGH sich dem Vorbringen der Bundesregierung in dem Verfahren an. Danach kann die Übertragung von Gesellschaftsanteilen – unabhängig von der Höhe der Beteiligung – nur dann eine Geschäftsveräußerung im Ganzen darstellen, wenn der Gesellschaftsanteil Teil einer eigenständigen Einheit ist, die eine selbständige wirtschaftliche Betätigung ermöglicht, und diese Tätigkeit vom Erwerber fortgeführt wird. Eine bloße Veräußerung von Anteilen ohne gleichzeitige Übertragung von Vermögenswerten versetzt den Erwerber nicht in die Lage, eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit als Rechtsnachfolger des Veräußerers fortzuführen. Die Anteilseigner sind keine Inhaber von Vermögenswerten des Unternehmens, an dem sie Anteile halten, sondern Inhaber dieser Anteile und haben in dieser Eigenschaft ein Recht auf eine Gewinnbeteiligung sowie ein Auskunftsrecht und sind in für die Geschäftsführung des Unternehmens wichtige Entscheidungen eingebunden. Eine Beteiligung i. H. v. 30 % an einer Gesellschaft stellt nach dem vorliegenden Urteil nur in beschränktem Maße ein Recht über diese Gesellschaft dar und kann daher nach dem Urteil definitiv kein Gegenstand einer Geschäftsveräußerung im Ganzen sein. Ein solcher Anteilsverkauf stellt entweder keine der MwSt unterliegende wirtschaftliche Tätigkeit dar oder ist nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 5 der 6. EG-Richtlinie steuerfrei, wenn er zum Zweck des unmittelbaren oder mittelbaren Eingreifens in die Verwaltung der Gesellschaften erfolgt, an denen die Beteiligung besteht.
Nach den weiteren Entscheidungsgründen gilt dies auch in Fällen wie des Ausgangsverfahrens, dass die Anteile (sämtliche Anteile an einer Tochtergesellschaft) von unterschiedlichen Personen auf ein und denselben Erwerber übertragen werden. Insofern ist jeder Übertragungsvorgang einzeln für sich zu bewerten und hat keinen Einfluss auf andere gleichzeitig erfolgte Übertragungen. Somit ist die Veräußerung aller Anteile an einer Gesellschaft durch alle Anteilseigner dieser Gesellschaft an dieselbe Person nicht mit der Übertragung des Gesamtvermögens i. S. v. Art. 5 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie gleichzusetzen.
Schließlich ist nach dem Urteil unbedeutend, dass die Übertragung von 30 % der Anteile in engem Zusammenhang mit den Managementtätigkeiten steht, die der Veräußerer für die Gesellschaft ausgeübt hat, an der er Anteile hielt. Die Beendigung der Managementtätigkeiten sei die unmittelbare und logische Folge des Verkaufs der Beteiligung der Klägerin. Etwas anderes gelte nur dann, wenn die Managementtätigkeiten des Veräußerers einen selbständigen Teil seines eigenen Unternehmens dargestellt hätten, der vom Erwerber selbständig hätte übernommen werden können und für den der Erwerber eine von dem Preis für die Anteile unabhängige Gegenleistung gezahlt hätte. In einem solchen Fall würde die Übertragung eines Gesamtvermögens jedoch nur die Managementtätigkeiten und nicht die Anteilsveräußerung umfassen, da diese beiden Transaktionen unterschiedliche Unternehmen betreffen.
Am Ende seines Urteils weist der EuGH noch unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung darauf hin, dass die Anteilsveräußerung ein nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 5 der 6. EG-Richtlinie steuerfreier Umsatz war und dass das Recht auf Vorsteuerabzug aus den Veräußerungskosten nur dann besteht, wenn diese Kosten Teil der allgemeinen Aufwendungen der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit der Klägerin sind, ohne in den Kaufpreis der Anteile Eingang gefunden zu haben.
Praxishinweis:
Aus der Entscheidung wird deutlich, dass der EuGH in seinem Urteil v. 29.10.2009, C-29/08 (SKF) nicht definitiv entschieden hat, dass die Veräußerung einer Kapitalbeteiligung von 100 % eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen darstellt. Er stellt klar, er habe in diesem Verfahren nicht über die erforderlichen Angaben verfügt, um die Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie zu beurteilen.
Nach dem vorliegenden Urteil ist ein bloßer Kapitalanteilsverkauf (das gilt wohl auch für eine 100 %-Beteiligung) niemals Gegenstand einer nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen.
Es bleibt aber unklar, ob der EuGH für einen 30 %-Anteilsverkauf (oder 100 %-Anteilsverkauf) auch dann eine Geschäftsveräußerung im Ganzen verneinen würde, wenn der Erwerber gleichzeitig mit dem Anteilserwerb den Managementvertrag übernommen und dafür neben den Anteilen auch eine gesonderte Vergütung geleistet hätte. Insgesamt scheint der EuGH aber auch im Fall einer unternehmerischen Veräußerung der Anteile, die sich daraus ergibt, dass der Veräußerer aufgrund seiner Managementtätigkeit bei der Gesellschaft, an der er die veräußerten Anteile hält, Unternehmer ist, nicht von einer Geschäftsveräußerung im Ganzen ausgehen zu wollen; für den EuGH scheint entscheidend zu sein, dass mit dem Erwerb einer Kapitalbeteiligung alleine kein Unternehmen fortgeführt werden kann.
Insgesamt scheint nach der jetzigen Entscheidung aus EuGH, Urteil v. 27.11.2003, C-497/01 (Zita Modes Sàrl) und EuGH, Urteil v. 29.10.2009, C-29/08 (SKF) ableitbar zu sein, dass Art. 5 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie nur dann anwendbar ist, wenn es sich um die Übertragung eines Geschäftsbetriebs oder eines selbständigen Unternehmensteils handelt, die jeweils materielle und gegebenenfalls immaterielle Bestandteile umfassen, die zusammengenommen ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann.
Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage:
Nach dem BMF, Schreiben v. 3.1.2012, IV D 2 - S 7100-b/11/10001 zur Anwendung des BFH, Urteil v. 27.1.2011, V R 38/09, BFH/NV 2011 S. 727, ist das bloße Erwerben, Halten und Veräußern von gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen erst bei Hinzutreten weiterer Umstände (vgl. Abschnitt 2.3 Abs. 3 Satz 5 UStAE) als unternehmerisch veranlasst anzusehen. Demnach wird bei der Veräußerung eines bloßen Gesellschaftsanteils kein hinreichendes Ganzes übertragen, das dem Erwerber allein die Fortsetzung einer bisher durch den Veräußerer ausgeübten unternehmerischen Tätigkeit ermöglicht. Auf die Höhe der Beteiligung kommt es dabei nicht an. Erst wenn der Erwerber in Rechtsverhältnisse eintritt, durch die das Halten der Beteiligung beim Veräußerer als unternehmerisch veranlasst anzusehen war, wird ein hinreichendes Ganzes zur Fortführung eines Geschäftsbetriebs übertragen. Danach müsste bei einem bestehenden Managementvertrag des Veräußerers mit der Kapitalgesellschaft, an der er Anteile hält, der Erwerber der Anteile diesen Vertrag übernehmen, damit der Anteilsverkauf eine Geschäftsveräußerung im Ganzen sein kann. Ob dies auch beim Verkauf einer lediglich 30 %-Beteiligung der Fall wäre, kann dem BMF-Schreiben nicht ohne weiteres entnommen werden. Dies scheint nach dem vorliegenden Urteil aber insgesamt (wohl auch für einen 100 %-Anteilsverkauf) zu verneinen zu sein.
EuGH, Urteil v. 30.5.2013, C-651/11 (X BV)
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