Steuerbegünstigung für ein Familienheim bei Zuerwerb
Hintergrund: Hinzuerwerb einer angrenzenden Doppelhaushälfte
A ist Alleinerbe seines im Oktober 2013 verstorbenen Vaters (V). Zum Nachlass gehörte eine von V bis zu seinem Tod selbst genutzte Doppelhaushälfte. A bewohnt die hieran direkt angrenzende andere Doppelhaushälfte.
Nach Renovierungs- und Sanierungsarbeiten nutzt A seit August 2016 die nunmehr zu einer Wohnung verbundenen Doppelhaushälften selbst als eine einheitliche Wohnung.
Das FA und ihm folgend das FG lehnten für den Erwerb der Doppelhaushälfte des V die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ab. Es fehle an der unverzüglichen Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken.
Entscheidung: Selbstbezug innerhalb von sechs Monaten
Die Sache wurde an das FG zurückverwiesen. Der BFH konnte mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend entscheiden, ob A die Wohnung (hinzuerworbene Doppelhaushälfte) unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt hat.
Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken
Die Absicht des Erwerbers zur Selbstnutzung lässt sich als eine innere Tatsache nur anhand äußerer Umstände feststellen. Der Erwerber muss tatsächlich in die Wohnung einziehen. Der Begriff des Familienheims erfordert zudem, dass der Erwerber dort den Mittelpunkt seines Lebensinteresses hat (BFH v. 28.5.2019, II R 37/16, BStBl II 2019, 678, Rz 16 f.). Dafür bedarf es einer Nutzung zu eigentlichen Wohnzwecken. Die Nutzung für gelegentliche Aufenthalte oder als Lagerraum genügt nicht.
Selbstnutzung innerhalb von sechs Monaten
Der Erwerber muss die Wohnung "unverzüglich", d.h. ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), zur Selbstnutzung für eigene Wohnzwecke bestimmen. Angemessen ist regelmäßig ein Zeitraum von sechs Monaten nach dem Erbfall. Innerhalb dieses Zeitraums kann der Erwerber in der Regel prüfen, ob er einziehen will, entsprechende Renovierungsarbeiten vornehmen und den Umzug durchführen (BFH v. 28.5.2019, II R 37/16, BStBl II 2019, 678, Rz 20 f.). Nach Ablauf dieser Frist kann eine unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung nur vorliegen, wenn der Erwerber darlegt, zu welchem Zeitpunkt er sich zur Selbstnutzung für eigene Wohnzwecke entschlossen hat, aus welchen Gründen ein tatsächlicher Einzug nicht früher möglich war und warum er diese Gründe nicht zu vertreten hat. Umstände im Einflussbereich des Erwerbers, die nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums zu einer Verzögerung führen (wie z.B. eine Renovierung), sind nur unter besonderen Voraussetzungen nicht dem Erwerber anzulasten.
Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn sich die Renovierung länger hinzieht, weil nach Beginn der Renovierungsarbeiten ein gravierender Mangel entdeckt wird, der vor dem Einzug beseitigt werden muss (BFH v. 28.5.2019, II R 37/16, BStBl II 2019, 678, Rz 22).
Zeitliche Verzögerungen aufgrund einer Renovierung
Eine zeitliche Verzögerung des Einzugs aufgrund von Renovierungsarbeiten ist dem Erwerber nicht anzulasten, wenn er die Arbeiten unverzüglich in Auftrag gibt, die Handwerker sie aber aus Gründen, die der Erwerber nicht zu vertreten hat, z.B. wegen einer hohen Auftragslage, nicht rechtzeitig ausführen können oder weil nach Beginn der Renovierungsarbeiten ein gravierender Mangel entdeckt wird, der vor dem Einzug beseitigt werden muss (BFH v. 28.5.2019, II R 37/16, BStBl II 2019, 678, Rz 22). Ein weiteres Indiz für die unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung ist die zeitnahe Räumung bzw. Entrümpelung der Wohnung.
Feststellungslast des Erwerbers
Der Erwerber trägt die objektive Beweislast (Feststellungslast) für die Merkmale der Steuerbefreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG. Hinsichtlich der unverzüglichen Bestimmung zur Selbstnutzung sind die Anforderungen an die Darlegung des Erwerbers und seine Gründe für die verzögerte Nutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke umso höher, je größer der zeitliche Abstand zwischen dem Erbfall und dem tatsächlichen Einzug des Erwerbers in die Wohnung ist (BFH v. 28.5.2019, II R 37/16, BStBl II 2019, 678, Rz. 22).
Zurückverweisung an das FG
Das FG ging davon aus, dass die Steuerbefreiung bereits deshalb zu versagen ist, weil A nicht alles technisch Denkbare (Einsatz von Trocknungsgeräten) unternommen hat, um so schnell wie möglich in die Selbstnutzung einzutreten. Dieser Maßstab ist zu streng. Vom Erwerber kann lediglich der Aufwand gefordert werden, der nach der Verkehrsanschauung als angemessene Förderung des Baufortschritts zu qualifizieren ist. Das FG hat die Verhältnisse des Streitfalls nach diesem Kriterium erneut zu würdigen. Sollte danach die erworbene Doppelhaushälfte dem Grunde nach steuerbegünstigt sein, wird auch zu klären sein, welche Wohnfläche sie aufwies. Sollte sie 200 qm überstiegen haben, wäre die Begünstigung verhältnismäßig zu kürzen (vgl. auch H E 13.4, Steuerbefreiung, Beispiel 2 der Hinweise zu den ErbStR 2019).
Hinweis: Begünstigter Erwerb einer Nachbarwohnung
Der BFH führt mit dieser Entscheidung im Wesentlichen die Grundsätze des Urteils v. 28.5.2019, II R 37/16 (BStBl II 2019, 678) fort. Es bleibt noch zu ergänzen, dass die Steuerbefreiung auch den Erwerb einer Nachbarwohnung umfasst, wenn diese räumlich an die vom Erwerber bereits selbst genutzte Wohnung angrenzt und beide Wohnungen zu einer einheitlichen selbst genutzten Wohnung verbunden werden. Hinsichtlich der Wohnflächenbegrenzung auf 200 qm (§ 13 Nr. 4c Satz 1 ErbStG) kommt es allein auf die Größe der hinzuerworbenen Wohnung an, nicht darauf, ob die Gesamtwohnfläche nach Verbindung der Wohnungen mehr als 200 qm beträgt.
Nachweis der Renovierungsmaßnahmen
Wegen der dem Erwerber obliegenden Feststellungslast im Hinblick auf die rechtzeitige Einleitung der Renovierungsarbeiten dürfte es sich empfehlen, die Beauftragung und den Fortgang der Renovierungsarbeiten nachvollziehbar zu dokumentieren.
BFH Urteil vom 06.05.2021 - II R 46/19 (veröffentlicht am 25.11.2021)
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