Operationskosten als außergewöhnliche Belastung
Hintergrund
Zu entscheiden war, ob Aufwendungen für die operative Behandlung eines Lipödems (an den Unterschenkeln auftretende Schwellung des Fettgewebes, "Reiterhosenfettsucht") durch Liposuktion ("Fettabsaugung") als außergewöhnliche Belastung absetzbar sind.
A machte für 2007 rund 12.000 EUR als außergewöhnliche Belastung geltend. Es handelt sich im Wesentlichen um Vorauszahlungen für eine im November 2007 und im Januar 2008 (Beine) sowie im April 2008 (Arme) durchgeführte Liposuktion.
Nach einem privatärztlichen Attest vom Juli 2007 wurde im Sommer 2006 ein Lipödem diagnostiziert. Die Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme ab. Es handele sich um eine "unkonventionelle Behandlungsmethode". Aus schulmedizinischer Sicht ständen konservative Behandlungsmethoden (physikalische Entstauungstherapie) zur Verfügung. Nach einem Attest des behandelnden Arztes vom April 2008 sowie den Befundberichten vom Januar 2008 war die Operation aus medizinischer Sicht notwendig. Im Februar 2008 stellte das Gesundheitsamt eine Bescheinigung aus, nach der die Liposuktion als Behandlung des vorliegenden Störungsbildes "nicht anerkannt" sei und aus medizinischer Sicht nicht als notwendig angesehen werden könne.
Das FA lehnte die Anerkennung der Operationskosten als außergewöhnliche Belastung ab. Ebenso entschied das FG mit der Begründung, es sei kein vor der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches Attest vorgelegt worden, aus dem sich die Zwangsläufigkeit ergebe.
Entscheidung
Der BFH ob das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 wurde § 64 EStDV rückwirkend neu gefasst. Danach ist bei krankheitsbedingten Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden (z.B. Frisch- und Trockenzellenbehandlungen, Sauerstoff-, Chelat- und Eigenbluttherapie) der Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme ... ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zu führen.
Im Streitfall ist daher entscheidend, ob es sich bei der Liposuktion um eine wissenschaftlich anerkannte Methode zur Behandlung des diagnostizierten Lipödems handelt.
Der BFH führt zunächst aus, dass eine Behandlungsmethode dann wissenschaftlich anerkannt ist, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Das wird angenommen, wenn "die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet.
Sodann legt der BFH dar, dass im Streitfall für die Würdigung des FG, es handele sich um eine nicht wissenschaftlich anerkannte Methode, eine nachvollziehbare Ableitung aus einer tragfähigen Tatsachengrundlage fehlt. Denn die amtsärztliche Bescheinigung vom Februar 2008, auf die sich das FG stützt, führt lediglich aus, die Liposuktion ist als Behandlungsmethode "nicht anerkannt". Es fehlt jedoch an Darlegungen, die dieses Ergebnis im Einzelnen stützen. Entsprechendes gilt von der Aussage des medizinischen Dienstes, es handele sich um eine "unkonventionelle Behandlungsmethode". Daraus ergibt sich ebenfalls nicht die fehlende wissenschaftliche Anerkennung. Das FG-Urteil beruht somit auf einer nicht tragfähigen Tatsachengrundlage.
Hinweis
Der qualifizierte Nachweis (Attest des Amtsarzts oder des Medizinischen Diensts) ist (u. a.) erforderlich bei wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden. Ob eine solche Methode vorliegt und demzufolge ein qualifizierter Nachweis erforderlich ist, hat das FG anhand der Gesamtumstände festzustellen. Es darf sich dabei nicht auf die bloße Aussage ärztlicher Bescheinigungen stützen, die besagen, eine Methode sei wissenschaftlich nicht anerkannt. Es hat vielmehr selbst konkret festzustellen, ob die Behandlungsmethode von der Mehrheit der entsprechenden Fachleute befürwortet wird. Seine Feststellungen dazu und die daraus zu ziehenden Folgerungen hat es nachvollziehbar darzustellen. In der Praxis wird das FG dazu ein Gutachten einholen müssen, das aber nur dann ausreicht, wenn es sich konkret dazu äußert, inwieweit über die Methode in der Fachwelt Konsens besteht. Ein "Gutachten", das lediglich ein Ergebnis ohne dessen Herleitung wiedergibt, stellt keine tragfähige Urteilsgrundlage dar.
Im Übrigen ist erwähnenswert, dass der BFH deutlich den Grundsatz hervorhebt, dass Krankheitskosten ohne Rücksicht auf die Art und Ursache der Erkrankung zwangsläufig erwachsen und Aufwendungen für die Heilbehandlung typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, ohne dass es der Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe bedarf.
Urteil v. 26.6.2014, VI R 51/13, veröffentlicht am 15.10.2014
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