Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Darlegung von Verfahrensmängeln
Leitsatz (NV)
- Ein Fehler des FG bei der Auslegung von Vorschriften der AO 1977 stellt nur einen Fehler materiell-rechtlicher und nicht verfahrensrechtlicher Natur dar. Dies gilt generell auch für eine fehlerhafte Beurteilung von Vorschriften, die die Zulässigkeit des außergerichtlichen Vorverfahrens regeln.
- Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nur dann ordnungsgemäß erhoben, wenn im Einzelnen substantiiert dargelegt wird, wozu sich der Kläger nicht hat äußern können, was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs (hier: Vertagung) noch zusätzlich vorgetragen hätte und dass bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens eine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 S. 3, § 116 Abs. 1
Tatbestand
I. Durch Wert- und Artfortschreibungsbescheid vom 9. September 1997 stellte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) gegen die Klägerin und Beschwerdeführerin zu 1 (Klägerin zu 1) auf den 1. Januar 1996 für ein in Neukirchen gelegenes, bebautes Grundstück die Grundstücksart "Einfamilienhaus"(vorher: gemischtgenutztes Grundstück mit überwiegend gewerblichem Anteil) und den Einheitswert auf 176 500 DM (vorher: 115 600 DM) fest. Die Besteuerungsgrundlagen wurden vom FA geschätzt, weil die Klägerin zu 1 eine Feststellungserklärung nicht abgegeben hatte.
Gegen den Bescheid legte die Klägerin zu 1 Einspruch ein und machte geltend, das Grundstück gehöre ihr nicht mehr, sondern ihrer Tochter, der Klägerin und Beschwerdeführerin zu 2 (Klägerin zu 2). An diese hatte die Klägerin zu 1 das Grundstück durch notariell beurkundeten Vertrag vom 10. Januar 1996 veräußert.
Das FA nahm auf den 1. Januar 1997 eine Zurechnungsfortschreibung auf den 1. Januar 1997 auf die Klägerin zu 2 vor und zog diese gemäß § 360 der Abgabenordnung (AO 1977) zum Einspruchsverfahren hinzu.
Der gegen den Feststellungsbescheid vom 9. September 1997 eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Einspruchsentscheidung vom 17. März 1998 wurde beiden Klägerinnen bekannt gegeben. Die von ihnen erhobene Klage, mit der sie sich gegen die festgestellte Grundstücksart und die Höhe des Einheitswerts wandten, wurde vom Finanzgericht (FG) als unbegründet abgewiesen. Das FG hat ausgeführt, es liege hinsichtlich der Art- und Wertfortschreibung kein zulässiger Einspruch vor, weil sich in dem Einspruchsschreiben keine Anhaltspunkte dafür finden ließen, dass sich der Rechtsbehelf gegen die Art- und Wertfeststellung richten solle. Deshalb sei der angefochtene Bescheid insoweit unanfechtbar geworden. Der Einspruch der Klägerin zu 1 betreffe lediglich die Zurechnung des Grundstücks. Diesbezüglich enthalte der "Art- und Wertfortschreibungsbescheid" jedoch keine anfechtbare Feststellung.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerinnen zu 1 und 2, mit der sie geltend machen, das Urteil des FG beruhe auf einem Verfahrensmangel, weil es den Einspruch der Klägerin zu 1 gegen den Feststellungsbescheid vom 9. September 1997 falsch ausgelegt habe. Das FG habe auch keine Überprüfung der Einspruchsentscheidung vorgenommen. Als weitere Verfahrensmängel machen die Klägerinnen Verstöße des FG gegen den Amtsermittlungsgrundsatz geltend und rügen, dass die Klägerin zu 1 nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten gewesen sei, weil insoweit keine Prozessvollmacht vorgelegen habe. Ferner sei ihr Recht auf Gehör verletzt worden, weil das FG die mündliche Verhandlung trotz eines entsprechenden Antrags nicht vertagt habe. Ferner stelle eine fehlerhafte Beweiswürdigung einen Verfahrensmangel dar. Das Urteil des FG sei auch nicht mit Gründen versehen, weil es in den Entscheidungsgründen die Einspruchsentscheidung nicht erwähne. Schließlich liege auch Divergenz vor und die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Dies beurteilt sich nach der Rechtslage vor In-Kraft-Treten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757), wie sich aus Art. 4 dieses Gesetzes ergibt. Denn die angefochtene Entscheidung des FG ist vor dem 1. Januar 2001 zugestellt worden.
1. Die Klägerinnen haben keinen Verfahrensmangel ordnungsgemäß i.S. von § 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.d.F. vor dem In-Kraft-Treten des 2.FGOÄndG (FGO a.F.) bezeichnet. Hierzu genügt die bloße Bezeichnung der angeblich verletzten Norm des Verfahrensrechts nicht. Vielmehr sind die Tatsachen genau anzugeben, die den Mangel schlüssig ergeben.
a) Soweit die Klägerinnen rügen, das FG habe den Einspruch der Klägerin zu 1 gegen den Feststellungsbescheid vom 9. September 1997 falsch ausgelegt, wird kein Verfahrensfehler, sondern ein materiell-rechtlicher Fehler des FG geltend gemacht, der als solcher die Zulassung der Revision nicht rechtfertigt (Entscheidung des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 31. Mai 1994 IX B 15/94, BFH/NV 1995, 128). Auch ein hierin möglicherweise liegender Fehler des FG bei der Auslegung von Vorschriften der AO 1977 stellt nur einen Fehler materiell-rechtlicher und nicht verfahrensrechtlicher Natur dar. Dies gilt generell auch für eine fehlerhafte Beurteilung von Vorschriften, die die Zulässigkeit des außergerichtlichen Vorverfahrens regeln (vgl. BFH-Entscheidungen vom 24. Juli 1984 VII R 122/80, BFHE 141, 470, BStBl II 1984, 791, und vom 9. Februar 1994 V B 198/93, BFH/NV 1995, 602).
b) Auch das Vorbringen der Klägerinnen, das FG habe den Klagegegenstand verkannt, weil es keine Überprüfung der Einspruchsentscheidung vorgenommen habe, ergibt keinen Verfahrensmangel. Denn auf der Grundlage der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des FG (vgl. BFH-Entscheidungen vom 26. November 1992 IV R 109/90, BFHE 170, 88, BStBl II 1993, 235, und vom 9. März 1995 V B 85/94, BFH/NV 1995, 949), die Art- und Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1996 sei mangels entsprechenden Einspruchs der Klägerin zu 1 bestandskräftig geworden, bedurfte es keiner Auseinandersetzung mehr mit der Einspruchsentscheidung.
c) Auch hinsichtlich der behaupteten Verletzung der Sachaufklärungspflicht liegt keine schlüssige Darlegung eines Verfahrensfehlers vor. Erforderlich wären nämlich insoweit u.a. Ausführungen gewesen, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (BFH-Beschluss vom 17. Mai 1994 X B 280/93, BFH/NV 1995, 114). Derartige Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung im Streitfall nicht. Das FG hat ausgeführt, aus dem Einspruchsschreiben ließen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, dass sich der Rechtsbehelf gegen die Art- und Wertfeststellung richten solle. Deshalb könnten bei der Auslegung außerhalb der Erklärung liegende Umstände nicht berücksichtigt werden. Die von den Klägerinnen als unterlassen gerügte Vernehmung von Zeugen zwecks Ermittlung des Erklärungswillens der Klägerin zu 1 konnte auf der Grundlage dieser Rechtserkenntnis des FG zu keiner anderen Entscheidung führen.
d) Die Rüge der mangelnden oder unzureichenden Vertretung der Klägerin zu 1 im finanzgerichtlichen Verfahren kann grundsätzlich nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden, weil es sich um einen mit der zulassungsfreien Revision zu rügenden wesentlichen Verfahrensmangel gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO handeln würde (BFH-Beschluss vom 14. Juni 1995 VIII B 126-127/94, BFH/NV 1996, 144). Dasselbe gilt für den Hinweis, die Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen.
e) Auch die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht ordnungsgemäß erhoben. Die Klägerinnen hätten insoweit ―was nicht geschehen ist― im Einzelnen substantiiert darlegen müssen, wozu sie sich nicht haben äußern können, was sie bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs (Vertagung) noch zusätzlich vorgetragen hätten und dass bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens eine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre (vgl. Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 119 Rdnr. 14, m.w.N.).
2. Soweit die Klägerinnen geltend machen, das Urteil der Vorinstanz weiche von der Entscheidung des BFH vom 6. März 1991 II R 152/88 (BFH/NV 1991, 726) ab, genügt die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. Für eine schlüssige Darlegung der Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO wäre es erforderlich gewesen, der angefochtenen Entscheidung des FG einen diese Entscheidung tragenden allgemeinen (abstrakten) Rechtssatz zu entnehmen und ihm einen ebenfalls tragenden (abstrakten) Rechtssatz aus den BFH-Entscheidungen bzw. den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gegenüberzustellen, der zu ihm in Widerspruch stehen könnte (BFH-Entscheidungen vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479, und vom 18. Januar 1991 VI B 140/89, BFHE 163, 204, BStBl II 1991, 309). Hieran fehlt es im Streitfall. Die im Stil einer Revisionsbegründung gehaltenen Rechtsausführungen der Klägerinnen ergeben keine Divergenz.
3. Nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Beschwerdeschrift "dargelegt" werden. Darlegen in diesem Sinn bedeutet mehr als allgemeine Hinweise oder Behauptungen, es erfordert substantiierte und konkrete Angaben darüber, weshalb die zu den für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Rechtsfragen zu treffende Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtsklarheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Die ―im Stil einer Revisionsbegründung abgefasste― Beschwerdeschrift der Klägerinnen enthält derartige Darlegungen nicht. Die Klägerinnen behaupten lediglich die grundsätzliche Bedeutung, ohne hierzu konkrete Gründe anzuführen.
Fundstellen
Haufe-Index 601527 |
BFH/NV 2001, 1128 |