Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegung von Verfahrensmängeln: Verletzung rechtlichen Gehörs, Überraschungsentscheidung, Verletzung der Aufklärungspflicht
Leitsatz (NV)
- Wird die Verletzung rechtlichen Gehörs in Bezug auf einzelne Feststellungen gerügt, sind der ‐ durch das verfahrensfehlerhafte Verhalten angeblich ‐ abgeschnittene Sachvortrag, die unterbliebenen Nachweise sowie die Entscheidungserheblichkeit darzulegen.
- Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs durch eine Überraschungsentscheidung erfordert die schlüssige Darlegung, dass das Urteil auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt ist, mit dem auch ein Kundiger nach dem bisherigen Verfahren nicht zu rechnen braucht.
- Hat das FA im Vorverfahren und/oder im Klageverfahren die betriebliche Veranlassung von angeblichen Zahlungen des Klägers an Adressenvermittler in Frage gestellt und ist in der letzten mündlichen Verhandlung über die betriebliche Veranlassung diskutiert worden, ist die Entscheidung des FG, die Zahlungen seien mangels betrieblicher Veranlassung nicht als Betriebsausgaben abziehbar, keine Überraschungsentscheidung, auch wenn das FA in einem Parallelverfahren vor einem anderen Senat auf ein Berichterstatterschreiben hin gleichartige Aufwendungen als Betriebsausgaben anerkannt und der Berichterstatter in der ersten mündlichen Verhandlung die betriebliche Veranlassung nicht erörtert hat.
- Wird gerügt, das FG habe unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollständig festgestellt, ist darzulegen, welche Beweise das FG hätte erheben müssen und inwieweit die Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO §§ 76, 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 155; ZPO § 139 Abs. 2
Gründe
Von der Darstellung des Sachverhalts sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ab.
Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zu verwerfen.
1. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs haben die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
a) Rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―) wird den Beteiligten dadurch gewährt, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden soll. Das rechtliche Gehör bezieht sich vor allem auf Tatsachen und Beweisergebnisse (vgl. § 96 Abs. 2 FGO); darüber hinaus darf das Finanzgericht (FG) seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt nur stützen, wenn die Beteiligten zuvor Gelegenheit hatten, dazu Stellung zu nehmen (§ 155 FGO i.V.m. § 278 Abs. 3 der Zivilprozessordnung ―ZPO― i.d.F. bis 31. Dezember 2001; jetzt: § 139 Abs. 2 ZPO; vgl. auch § 93 Abs. 1 FGO; Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 15. Juni 2001 VII B 45/01, BFH/NV 2001, 1580, und vom 28. Oktober 2002 III B 142/01, nicht amtlich veröffentlicht, juris).
Deshalb kann eine Verletzung des Rechts auf Gehör vorliegen, wenn das Gericht die Beteiligten nicht auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt hinweist, den es seiner Entscheidung zugrunde legen will (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 8. Juli 1997 1 BvR 1934/93, BVerfGE 96, 189, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1997, 2305). Dies kann z.B. der Fall sein, wenn ein bisher nicht erörterter Gesichtspunkt zur Grundlage der Entscheidung gemacht wird, der dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht hat rechnen müssen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2001, 1580).
b) Die Kläger machen geltend, das FG habe ihnen keine Gelegenheit gegeben, zu der ―im Urteil als allein streiterheblich bezeichneten― Frage, ob die an die Adressenvermittler gezahlten Beträge betrieblich veranlasst seien, Stellung zu nehmen. In der ersten mündlichen Verhandlung habe der Berichterstatter sie, die Kläger, ausschließlich zur Wohnanschrift eines Vermittlers befragt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sei zwar die betriebliche Veranlassung der Zahlungen diskutiert worden. Sie hätten dazu klargestellt, dass der Kläger den Kontakt zu den Vermittlern telefonisch hergestellt habe. Auf entsprechende Nachfrage wäre es ohne weiteres möglich gewesen, diese Telefonnummern bekannt zu geben. In der früheren mündlichen Verhandlung habe der Berichterstatter keinen Zweifel an der betrieblichen Veranlassung geäußert. Daher hätten sie davon ausgehen können, dass bei einer Entscheidung des Senats die betriebliche Veranlassung als gegeben unterstellt werden würde, insbesondere weil das FA in einem Parallelverfahren vor einem anderen Senat des FG nach einem Hinweis der Berichterstatterin die betriebliche Veranlassung anerkannt habe.
c) Mit diesem Vorbringen haben die Kläger nicht schlüssig dargelegt, dass das FG seine Entscheidung auf einen bisher nicht erörterten und für sie überraschenden Gesichtspunkt gestützt hat.
aa) Aus dem Beschwerdevorbringen selbst ergibt sich, dass das FG in der letzten mündlichen Verhandlung die betriebliche Veranlassung der Barauszahlungen debattiert und in Frage gestellt hat. Das ist auch im Protokoll dieser mündlichen Verhandlung niedergelegt.
bb) Darüber hinaus hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) bereits im Vorverfahren problematisiert, ob die Rechnungsaussteller überhaupt eine Leistung an den Kläger erbracht hätten. Im Klageverfahren hatte das FA angezweifelt, dass es sich bei den Rechnungen um solche im Sinne des Steuerrechts handele, weil die Schriftstücke keinerlei Hinweise auf die Art der Leistung enthielten. Ob und welche Leistung erbracht worden sei, sei genauso unklar wie die Frage, ob es sich überhaupt um eine Leistung für die gewerbliche Unternehmung des Klägers gehandelt habe.
Daher musste den Klägern bewusst sein, dass es für den Ausgang des Rechtsstreits jedenfalls auch darauf ankommen würde, was im Einzelnen Gegenstand der Geschäfte war, für die dem Kläger die Rechnungen gestellt worden waren. Insoweit hatten die Kläger ausreichend Gelegenheit, sich zu der Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern. Insbesondere nach dem Hinweis des Gerichts auf die Bedenken hinsichtlich der betrieblichen Veranlassung hätten die Kläger zu allen damit zusammen hängenden Fragen, insbesondere zu den noch ungeklärten tatsächlichen Verhältnissen Stellung nehmen und sich auf die möglichen rechtlichen Folgerungen durch das Gericht einstellen können.
cc) Eine "Überraschungsentscheidung" kann auch nicht deshalb angenommen werden, weil das FA in einem Parallelverfahren vor einem anderen Senat des FG auf ein Berichterstatterschreiben hin gleichartige Aufwendungen anerkannt hat oder weil der Berichterstatter in der ersten mündlichen Verhandlung die betriebliche Veranlassung der streitigen Aufwendungen nicht erörtert hat. Hieraus kann nicht gefolgert werden, der Senat werde diese nicht in Zweifel ziehen, zumal wenn das FA im bisherigen Verfahren die betriebliche Veranlassung in Frage gestellt hat und der Senat in der mündlichen Verhandlung seine Zweifel an der betrieblichen Veranlassung der Aufwendungen geäußert hat. Entscheidend ist allein, ob sich die Kläger zu den streitentscheidenden Rechtsfragen haben äußern können.
d) Das Vorbringen der Kläger, bei einem entsprechenden Hinweis wäre es ihnen ohne weiteres möglich gewesen, die betriebliche Veranlassung unter Benennung entsprechender Telefonnummern und Beweisantritte genauer darzulegen, genügt den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO ebenfalls nicht, weil nicht erkennbar ist, welche Erläuterungen und Beweisantritte unterblieben sind und inwieweit dies hätte entscheidungserheblich sein können.
Bei der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs sind der durch das verfahrensfehlerhafte Verhalten angeblich abgeschnittene Sachvortrag, die unterbliebenen Nachweise sowie die Entscheidungserheblichkeit immer dann darzulegen, wenn sich die gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs ―wie im Streitfall― nur auf einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte bezieht (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2002 IX B 104/02, BFH/NV 2003, 499).
Im Übrigen war die Art der Kontaktaufnahme, insbesondere die fehlende Angabe der Telefonnummern, unter denen der Kläger mit den Rechnungsausstellern Kontakt aufgenommen haben will, nicht allein streitentscheidend, sondern wesentlich war für das FG, dass der Gegenstand der angeblichen Geschäfte im Einzelnen nicht nachvollziehbar sei.
2. Auch die Rüge der Kläger, das FG habe unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht (§ 76 FGO) den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollständig festgestellt, ist nicht ausreichend dargelegt. Die Kläger führen lediglich aus, bei entsprechendem Hinweis hätten sie entsprechende Beweise antreten können, so dass das FG von der betrieblichen Veranlassung ohne weiteres hätte ausgehen können. Eine schlüssige Aufklärungsrüge hätte jedoch die Bezeichnung der einzelnen Beweisangebote erfordert sowie die Darlegung, inwieweit die Beweise zu einer anderen Entscheidung hätten führen können (BFH-Beschluss vom 3. April 2001 IV B 15/00, BFH/NV 2001, 1280, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 995670 |
BFH/NV 2003, 1591 |